Kriegseuphorie

Warum in Deutschland ein Ruslan Kotsaba ignoriert und ein Serhik Zhadan gefeiert wird

01.11.2022 - Peter Nowak

Es sagt viel über die Stimmung in Deutschland aus, wenn ein von Verfolgung bedrohter Pazifist wie Ruslan Kotsaba bestenfalls ignoriert und ein Ultranationalist wie Serhij Zhedan hofiert und gefeiert wird

„Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigt sich wieder eine Bevölkerungsmehrheit offen kriegseuphorisch. Man spricht wieder von „den Russen“, „entmenschlichtem Soldatenmaterial“ im Osten. Die Deutschen sind wieder im Krieg, aber dieses Mal mit der Gewissheit, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen.“ So kommentiere Erich Zielke in der Tageszeitung Neues Deutschland die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den ukrainischen Ultranationalisten Serhij Zhadan. Zielke war einer der wenigen, aber nicht der einzige, der Widerspruch anmeldete. Zuvor hatte bereits der Kriegsgegner Franz Alt den „Friedenspreis für Russenhass“ auf Telepolis moniert. Alt erinnerte daran, dass der Preisträger in seinem Buch „Himmel über Charkiw" Russen als „Horde“, „Verbrecher“, „Tiere“, „Unrat“ bezeichnete. Doch sofort melden sich die vielen deutschen Volksgenossen, die „den Russen“ Stalingrad nie verziehen haben und daher jetzt so klingen, als wären sie bei Goebbels in die Schule gegangen. Da geifert der ehemalige Chefredakteur des Berliner Stadtmagazins tip Karl-Hermann Leukert gegen die Kritiker*innen des ukrainischen Hasspredigers auf dem Blog Salonkolumnisten: 

„Jahrelang haben diese publizistischen Dünnbrettbohrer mit ihrem seichten Gesäusel („Jesus – der erste neue Mann“ Franz Alt; „Nachruf auf mich selbst“, Harald Welzer) Millionen zusammengeschmiert. Und jetzt kommt doch tatsächlich einer daher, der die Ergebnisse der deutschen Friedenswinselei gegenüber Russland am eigenen Leib erlebt hat und diese Verzweiflung in wahrhaftige Literatur verwandelt. Was für ein Skandal!“ 

Da spricht es aus der deutschen Volksseele, die „dem Russen“ nie verziehen hat, dass er den 2. Weltkrieg gewonnen, Auschwitz befreit und das Deutsche Reich besiegt hat. Im moderaten Ton verteidigt Jens Uthoff in der TAZ den ukrainischen Ultranationalisten. „Wer das Morden, das Metzeln und den Vernichtungswillen seitens der russischen Armee aus nächster Nähe erlebt und für den dabei empfundenen Ekel, für Abscheu und Hass drastische Worte findet, dem sollte man erst einmal Verständnis entgegenbringen.“

Brothers in Crime 

Auch hier spricht die geschundene deutsche Seele, die nach dem 8. Mai 1945 so sehr unter der Roten Armee gelitten haben will, nachdem sie vorher 12 Jahre mitgemacht oder zumindest weggeschaut hat bei allen Naziverbrechen. Einer wie Serhij Zhadan eignet sich auch deshalb so gut für den deutschen Schulterschluss, weil er ein Repräsentant jener ukrainischen Nationalisten ist, die sich den Nazis angedient hatten und das gemeinsame Feindbild Juden und Moskowiter pflegten. Als dann die Wehrmacht, die SS und alle Einsatzgruppen von der Roten Armee aus den besetzten Gebieten vertrieben wurden, da flohen auch die Funktionäre der ukrainischen Nationalisten ins Reich. Nur konnte ihnen das bald nicht mehr Schutz bieten. Doch wie viele willige Vollstrecker aus Deutschland fanden auch ihre ukrainischen Hilfswilligen im Kalten Krieg bald wieder ihren Platz als Verteidiger des Abendlandes. Das Feindbild Moskau konnten sie beibehalten, nur mit dem Antisemitismus mussten sie sich zurückhalten. Spätestens nach 2014 haben die Erben dieses prodeutschen ukrainischen Nationalismus wieder Oberwasser. Die deutsche Ukrainophilie nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine speist sich auch aus diesen gemeinsamen Erinnerungen. Für Viele wird jetzt in der Ukraine der Krieg fortgesetzt, mit dem ihre Groß- oder Urgroßväter vor Stalingrad gescheitert sind.


Von Martin Walser zu Serhij Zhadan

Daher war der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Zhadan auch ein Stück deutsche Geschichte. Jetzt ist es sogar in linksliberalen Medien, die doch immer auf Achtsamkeit auch in der Sprache wertlegen, wieder erlaubt, in Bezug auf die Russen so zu tönen wie die NS-Generation, von deren Ideologie man sich eigentlich befreien wollte. Man kann hier durchaus eine Parallele ziehen zur Rede Martin Walser zur Verleihung des Deutschen Buchpreises 1998 in der Paulskirche in Frankfurt/Main. Der wollte dort nicht mehr ständig an Auschwitz erinnert werden und fast das ganze Publikum applaudierte ihm stehend. Nur Ignaz Bubis blieb erschrocken sitzen. Er wusste als Jude in Deutschland, was diese Töne bedeuteten. Tatsächlich wurde er auch zum Zielobjekt eines neuen deutschen Antisemitismus, der Juden trifft, die nicht mitmachen wollen bei der Wiedergutwerdung Deutschlands (Eike Geisel). Die Verleihung des Friedenspreises an den ukrainischen Ultranationalisten zeigt auch an, wie weit diese Wiedergutwerdung schon gediehen ist. Goebbels-Parolen sind wieder en Vogue, zumindest wenn es gegen die Russen geht.


Kein Interesse an ukrainischen Kriegsgegner

Es war ein Zufall, dass zeitgleich mit Zhadan ein ukrainischer Pazifist in Deutschland weilte, der eine ganz andere Botschaft hatte. Es handelte sich um Ruslan Kotsaba, der es aus religiösen Gründen ablehnt, eine Waffe in die Hand zu nehmen. „Im Jahr 2014 wurde ich als Journalist in den Donbas entsandt und interviewte Menschen auf beiden Seiten der Front. Ich habe ihnen in die Augen gesehen. Viele von ihnen wurden wenig später in den Krieg geschickt und starben. Da habe ich erkannt, dass der Krieg ein Verbrechen ist, an dem ich mich nicht beteiligen werde“, erklärte Kotsaba bei einem Treffen im traditionsreichen Berliner Antikriegsmuseum, das 1926 von dem Pazifisten Ernst Friedrich aufgebaut, von den Nazis zerstört und von den Enkeln des Gründers in den 1980er Jahren erneut eröffnet wurde. Genau der richtige Ort für das Treffen mit Ruslan Kotsaba, der wegen seiner pazifistischen Haltung in der Ukraine schon mehrmals im Gefängnis war und im letzten Jahr von Ultranationalisten angegriffen und so schwer am Auge verletzt wurde, dass er bis heute eine verminderte Sehfähigkeit hat. Kotsaba wäre eigentlich der geeignete Kandidat für einen Friedenspreis, wenn der Name noch etwas bedeuten würde. Kotsaba bezeichnet als Zynismus, dass das Hineinpumpen von Waffen in einen geopolitischen Konflikt, wie er aktuell auf dem Boden der Ukraine tobt, als Solidarität bezeichnet wird. „Ich finde es unerträglich, die Lieferung von Waffen, die Menschen auf beiden Seiten tötet. Besonders unverständlich ist mir dabei die Position der GRÜNEN, die schließlich einmal als pazifistische Partei angetreten sind. Davon ist allerdings schon zu Zeiten als Joschka Fischer Außenminister war nichts mehr übrig geblieben“, erweist sich der christliche Pazifist Kotsaba politisch klarer als große Teile der Linkspartei in Deutschland, die Sahra Wagenknecht angreifen, weil sie ausgesprochen hat, dass die Grünen heute die gefährlichste Partei in der Regierung sind. Allerdings fehlte ihr die materialistische Unterfütterung und daher klang es wie ein moralisches Urteil. Stattdessen sollte man auf die Thesen des sozialrevolutionären Theoretikers Detlev Hartmann zurückgreifen, der die Grünen Innovationskrieger deshalb als die gefährlichste politische Formation bezeichnet, weil hinter ihnen ein besonders aggressives Teil des Kapitals steht. Deswegen hat man in diesen linksliberalen Kreisen keine Berührungsängste mehr zu Hasspredigern wie Zhadan. Deswegen ignoriert man auch einen vom ukrainischen Staat und den Rechten verfolgten Pazifisten wie Ruslan Kotsaba, wenn er nach Deutschland kommt. Denn mit ihm kann der deutsche Imperialismus nicht Russland ruinieren, was ja das erklärte Ziel der grünen Innovationskrieger ist. Dabei hat Kotsaba zwei Utopien: die heute unrealistisch erscheinende wäre ein durch massenhafte Kriegsdienstverweigerung in Russland, Belorussland und der Ukraine erzwungenes Ende der Kämpfe. Die realpolitische Utopie sind Verhandlungen zwischen Russland und den USA, um den geopolitischen Konflikt zumindest einzudämmen. Diese Forderungen werden mittlerweile auch in unterschiedlichen politischen Spektren der USA erhoben, sowohl von linken Demokrat*innen als auch rechten Republikaner*innen. Sie wissen, dass der ukrainische Nationalismus eingehegt werden muss, auch aus geopolitischem Interesse. In Deutschland wird vor allem aus linksliberalen Kreisen jede Forderung nach Verhandlungen zur Beendigung des Krieges mit einem Geifer zurückgewiesen, der nur damit zu erklären ist, dass man Stalingrad gerne revidieren würde. Nicht nur Karl-Hermann Leukert würde zumindest verbal wieder gen Moskau marschieren.

 

Von dem Autor ist gemeinsam mit Clemens Heni und Gerald Gruneklee das Buch „Nie wieder Krieg ohne uns... Deutschland und die Ukraine“ erschienen.

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