Sharon Brauner: "Ich gehe lieber allein mit meinem Hund spazieren, als auf dem roten Teppich"
15.09.2017 -Bereits im Alter von drei Jahren stand sie als Schauspielerin auf der Bühne und entdeckte kurz darauf auch ihr zweites Talent – das Singen. Hier haben es ihr besonders der Jazz und die Neuinterpretation jiddischer Songs angetan. DAS MILIEU sprach mit Schauspielerin und Sängerin Sharon Brauner über ihr Leben, wie wichtig es ist, seinen Träumen zu folgen, die Verantwortung der Schauspielerei gegenüber der Gesellschaft und warum Jiddisch ein Teil der Vergangenheit ist und erhalten werden sollte.
DAS MILIEU: Zunächst zu Ihrer Kindheit. Mit drei Jahren standen Sie zum ersten Mal vor der Kamera im Film ihres Onkels „Sie sind frei, Dr. Korczak“. Wie war das für Sie? Können Sie sich daran noch erinnern? Hatten Sie schon damals den Wunsch als Schauspielerin oder als Sängerin auf der Bühne zu stehen?
Sharon Brauner: Ich kann mich gut daran erinnern. Mir wurde eine dramatische Rolle gegeben, in der ich auf Kommando weinen sollte. Ich wurde von einem SS Soldaten aus den Armen meiner Schauspiel-Mutter weggerissen. Anscheinend liegt es in der Natur der Menschen zu spielen und Kinder sind da noch ursprünglicher. Es hat mir tatsächlich Spaß gemacht, obwohl es eine furchtbare Szene war. Mein Vater hat mir erzählt, dass ich danach zum Regisseur gegangen bin, ihn am Hosenbein gezupft habe und gefragt habe, ob ich gut war. Da wusste mein Vater: „Sie wird mal Schauspielerin, wenn sie groß ist.“ Ich wollte aber als Kind schon weitermachen und habe in einigen weiteren Kinofilmen mitgespielt. Das ging solange gut, bis ich sitzen blieb. Dann durfte ich nicht mehr.
MILIEU: Ihr Vater wollte nicht, dass Sie Sängerin werden. In einem Interview sagte Ihr Vater, dass er Ihnen vom Singen abgeraten habe. Schon der Schriftsteller Fritz von Unruh sagte: „Der Weg zu den Quellen geht gegen den Strom.“ Warum haben Sie Ihrem Vater damals nachgegeben, um in New York die Schauspielausbildung am Lee Strasberg Theatre und Film Institute zu absolvieren?
Brauner: Ich habe ihm nicht nachgegeben. Er hatte auch nie wirklich was dagegen. Und selbst wenn, hätte mich das nicht aufgehalten, das zu tun wozu ich Lust hatte - das ist bis heute so. Nach New York zu gehen war mein Herzenswunsch. Und ich würde die verschiedenen Künste auch gar nicht so voneinander trennen. Wozu auch? Gesang oder Schauspiel behindern sich ja nicht – im Gegenteil. Tanzen gehörte für mich auch immer dazu. Mein Vater hat mir zwar abgeraten, dem Singen mehr Zeit zu widmen, als der Schauspielerei, aber ich hatte mit 12 Jahren mein erstes gesangliches Schlüsselerlebnis. Die erste Tür von vielen durch die ich gegangen bin. Ich habe auf einer Feier gesungen und viele Leute, die dabei waren, begannen leise zu weinen. Da habe ich gespürt, dass man Menschen mit Gesang berühren kann. Es war aber noch ein langer Weg. Ich habe mir dann in NY ein Repertoire aus Jazzstandards, Französischen Chansons und alten deutschen Liedern erarbeitet und für ein paar Dollar in Clubs und Bars ein bisschen gesungen. Und dann, in den Ferien der Schauspielschule, war ich wieder in Berlin - da reichte man mir ein Mikro und sagte: ‚Da hat jemand Geburtstag und wünscht sich ein Lied von Dir - sing’. Das war in ‚Die Bar jeder Vernunft’. Nach diesem einen Lied kam der künstlerische Leiter und fragte, ob ich acht Wochen dort spielen möchte. Das war Zufall und hat vieles in meinem Leben verändert. Ich bin, was das Singen betrifft, nie gegen den Strom geschwommen. Der Strom hat mich eher mitgerissen. Es gibt kaum etwas Schöneres als zu singen. Ich kann das nur jedem empfehlen. Egal wie es sich anhört. Singen lässt die Seele schwingen. Singen befreit und macht glücklich.
MILIEU: „Wir sind uns sehr nah, wir sind schon immer wie Kumpels gewesen.“, so äußern Sie sich über das Verhältnis zu Ihrem Vater. Können Sie erklären, warum ein Vater für die Tochter wichtiger als die Mutter ist?
Brauner: Das würde ich so nie unterschreiben. Das Verhältnis ist natürlich ein anderes, aber eins ist nicht wichtiger als das andere. Beide übernehmen normalerweise unterschiedliche Funktionen und prägen das Weltbild auf ihre Art und Weise. Aber meistens sind es natürlich die Mütter, die den Kindern in den ersten Jahren die nötige Wärme geben. Mit einer Mutter lässt sich besser kuscheln. Meine Mutter ist sehr weiblich und ein Kracher und ja, mein Vater ist immer mein bester Freund gewesen. Kaum jemand hat mich so zum Lachen gebracht wie er. Es gibt so gut wie keinen Tag, an dem wir uns nicht sehen. Ich liebe meine Eltern abgöttisch und beide sind mir gleich wichtig. Ich bin dankbar, dass ich die beiden habe und dass sie sind, wie sie sind. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich fünf war. Das zerstörte meine Welt zwar erst einmal, aber als sich die Wogen zwischen den beiden wieder geglättet haben, wurden sie enge Freunde. Bis heute. Unsere Eltern hatten außerdem immer viel mit sich selbst zu tun. Die beiden sind Holocaust Überlebende und wollten ihr Leben leben. Es gab nur wenige Regeln, Abitur war Pflicht. Ansonsten konnten wir uns relativ frei, fast schon antiautoritär entwickeln und wussten doch, dass wir ein Zuhause voller Geborgenheit haben. Ich bin wirklich dankbar, dass unsere Eltern uns immer das Gefühl von Liebe und Anerkennung geschenkt haben, nie zu streng waren und nichts Besonderes von uns erwartet haben. Jetzt, als Mutter eines Sohnes, versuche ich das genauso weiterzugeben.
MILIEU: Das Album „Jewels“, das nur jiddische Songs beinhaltet, gilt als eines der besten Alben ihrer Sängerkarriere. Arthur Blythe sagte einmal: "Was immer ich spiele, in meinem Kopf höre ich auch unaufhörlich die Tradition mitsummen." Wie ist das für Sie und wie kamen Sie auf die Idee, auf Jiddisch zu singen und jiddisch in modernen Jazz-Formen vor dem Publikum zu präsentieren?
Brauner: Ich habe mich von klein auf für Geschichte interessiert. Das ging gar nicht anders bei uns Zuhause. Die Freunde von meinem Vater, die mit ihm Karten gespielt haben, hatten zum Teil tätowierte Nummern auf dem Arm. Ich mochte diese herzlichen alten Männer. Ich hatte so ein Gefühl, dass sie wärmer waren als andere. Aber wahrscheinlich spürte ich unterbewusst nur ihre Traurigkeit. Die Freunde meines Vaters hatten wahnsinnig viel Humor und beim Kartenspiel sprachen sie jiddisch. Ich habe am Anfang nichts verstanden – zuerst dachte ich, dass es eine geheime Kartensprache ist. Aber letztendlich ist es ja eine Art deutscher Dialekt. Es ist Größenteils das Deutsch, dass im deutschen Sprachraum des Mittelalters gesprochen wurde. Slawische, und hebräische Ausdrücke sind zugeflossen - das ist dann zum Jiddisch geworden. Diese Sprache ist über die Jahrhunderte wie ein Schatz bewahrt worden, jetzt wird sie immer leiser. In den Liedern lebt sie weiter. Das ist ein Stück Kultur, die erhalten bleiben sollte und viel zu erzählen hat. Ich probierte musikalisch einen eigenen Stil in die alten Jiddischen Liedjuwelen hineinzubringen. Daraus sind diese Worldmusic - Jazz – Arrangements, dank meines Pianisten Harry Ermer entstanden. Dazu kommt, dass ich mit unserem Bassisten Daniel Zenke einen großartigen Musiker gefunden habe, der die Lieder für das Album so einzigartig produziert hat. Wir haben das Album ‚Lounge Jewels’ gerade als Vinyl veröffentlicht.
MILIEU: Sie interpretieren die traditionelle jiddische Musik neu und zeitgemäß. Welche Rolle spielen die jiddische Kultur und ihre Werte in Ihrer Familie? Und wie gehen Sie mit kritischen Stimmen Ihrer Neuinterpretationen um?
Brauner: Oh, ich habe noch gar keine kritische Stimme gehört. Bis jetzt hat es allen gefallen. Meine Mutter wurde in Berlin geboren, als deutsche Jüdin, die mit jiddisch gar nichts zu tun hatte, ebenso meine Großmutter und meine Oma war auch die einzige, die etwas irritiert war. Sie fragte warum ich solche Musik singe, wenn es so viel schöne andere gibt. Sie war immer sehr Deutsch und der deutschen Sprache sehr zugetan. Es war für sie anfangs befremdlich, als sie dann aber mal ein Konzert besuchte, war auch sie überzeugt. Für meinen Vater ist es die pure Freude. Durch ihn bin ich ja auch dazu gekommen, jiddisch zu singen. Und ich bin dankbar dafür. Meine Familie und insbesondere mein Vater sind sehr jüdisch im traditionellen Sinne. Ich kann Religionen generell nichts abgewinnen. Die jiddischen Lieder sind eine Brücke für mich in die traditionelle Welt, in der ich ja sonst nicht so zu Hause bin.
MILIEU: Michel Portal sagte einmal über Jazz: “ Jazz bietet mir die einzige Möglichkeit, frei zu sein, zu schweben, zu träumen.“ Was verbinden Sie mit Jazz und was fühlen Sie dabei?
Brauner: Das ist ein schöner Satz. Es gibt ja so unterschiedlichen Jazz. Jazz ist so viel. Es gibt auch Jazzmusik, die mir zu kopflastig ist. Da kann ich nicht zuhören. Mein Zugang zu Jazz war eher ein seichterer, emotionaler. Sängerinnen wie Billie Holiday, Ella Fitzgerald und Dinah Washington haben mich gefesselt. Die alten Jazz-Standards, die ich gehört habe und die ich bis heute höre. Das ist die Quelle, aus der ich musikalisch entsprungen bin, die mich beeinflusst hat: Ich liebe die Blues-Notes in den Liedern über die Einsamkeit, das verlorene Glück und die Liebe – Lieder die Geschichten erzählen, die einen in eine andere Zeit und eine andere Welt entführen und in denen man sich wiederfindet.
MILIEU: Sie sind als Schauspielerin in den Filmkreisen sehr bekannt. Über die Präsentation des Films „Zu Freiwild verdammt“ im Zoo-Palast sagten Sie in einem Interview mit der BZ: „Ich hatte keine Lust über den roten Teppich zu gehen.“ Wie ist es für Sie, im Rampenlicht zu stehen oder auf der Straße erkannt zu werden?
Brauner: Befremdlich. Den Satz habe ich übrigens mit 13 Jahren gesagt. Tatsächlich gehe ich immer noch lieber alleine mit meinem Hund im einsamen Wald spazieren, als auf dem roten Teppich. Aber ich freue mich immer dort Freunde und Menschen, mit denen man mal gearbeitet hat, wieder zu treffen. Im Rampenlicht zu stehen, ist nicht so wirklich mein Ding. Es gehört jedoch dazu, über die Teppiche zu laufen und dabei ordentlich auszusehen, wenn man Schauspielerin ist. Ob ich erkannt werden möchte, das kommt immer darauf an, in welcher Situation ich mich befinde. Meistens passiert es, wenn ich nicht damit rechne. Peinlich wird’s, wenn ich z. B. beim Autofahren mal schimpfe, weil mal wieder einer nicht blinkt und dann spricht mich der Angepöbelte plötzlich mit Namen an und entpuppt sich als Fan. Da werde ich dann auch mal rot.
MILIEU: In der Operette „Frau Luna“ konnten Sie Gesang und Schauspielerei miteinander verbinden. Dort haben Sie die Rolle der „Marie“ verkörpert. War das für Sie eine neue Erfahrung oder eher ein Experiment?
Brauner: Beides. Es war wunderbar. Die schönste Erfahrung war es, mit diesen Kollegen zusammenzuarbeiten. Das ist so eine große Freude gewesen, wirklich große Liebe. Ich hätte jeden von ihnen heiraten können. Das sind alles ganz fantastische Künstler. Es hat großen Spaß gemacht und wir haben den Winter weggelacht. Die Musik ist sehr schön, vollgepackt mit zeitlosen Ohrwürmern. Operette ist nicht gerade das Genre, in dem ich mich normalerweise so bewege, aber dann habe ich gemerkt dass das völlig egal ist, was man macht, Hauptsache ist doch, dass man’s so gut wie möglich macht. Ich freue mich sehr die „Marie“ Anfang 2018 wieder zu spielen.
MILIEU: Über Schauspieler äußerte sich William Shakespeare folgendermaßen: „Lasst uns die Schauspieler gut behandeln, denn sie sind der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters.“ Können Sie bitte folgenden Satz vervollständigen: „Die Verantwortung der Schauspielerei gegenüber der Gesellschaft ist meiner Meinung nach…“
Brauner: …um Himmels willen! - …, vielleicht echte Gefühle zu transportieren. Es ist ja nicht so, dass Schauspieler in Wirklichkeit ein Kind am offenen Herzen operieren oder ein Flugzeug durch einen Sturm manövrieren. Es gibt also wirklich Wichtigeres. Die wahren Helden gibt es im Alltag. Andererseits würden wir Menschen ohne Seelenfutter verhungern. Wir brauchen gute Geschichtenerzähler, die uns berühren, die uns entführen, die Lösungswege zu Problemen aufzeigen und diese Geschichten sind nur dann glaubhaft, wenn es um Wahrhaftigkeit geht, wenn man ehrlich ist. Genau das ist die Kunst des Schauspielers. Glaubwürdig zu sein, während man behauptet, jemand anderes zu sein.
MILIEU: Man sagt, wenn man von Geburt an talentiert ist, dann ist man talentiert in allem. Sie sind dafür ein Beweis! Schon der Journalist Prentice Mulford sagte: „Jeder Mensch hat latent in sich eine Fähigkeit, ein Talent, ein nuanciertes Vermögen, das einzig ist wie sein Dasein.“ Haben Sie eine Idee, warum so viele Menschen vor Fleiß und harter Arbeit zurückschrecken und dafür sogar ihre Träume aufgeben?
Brauner: Oh wie furchtbar, seine Träume aufgeben zu müssen. Es gibt sicher viele verschiedene Faktoren dafür. Talent zu haben, heißt auch Verantwortung zu haben. Ein Talent ohne Pflege - das heißt viel Arbeit - ist nicht viel wert. Unser Tanzlehrer hat uns immer gesagt: „Talent sind 10 %, Wille und Arbeit die anderen 90%.“ Naja, dann haben manche auch ein Bedürfnis nach Sicherheit. Als Künstler hast du Vieles, aber bestimmt keine Sicherheit. Ich bin eher ein Mensch, der an seinen Träumen dranbleibt und immer wieder neue hat. Und wie Herr Mulford, glaube auch ich, dass jeder ein Talent in irgendetwas hat. Hätten mehr Menschen die Chance, ihren Talenten zu folgen und ihre beruflichen Tätigkeiten danach auszurichten, dann wäre die Welt bestimmt eine bessere.
MILIEU: Zum Schluss noch ein Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach: „Zwischen Können und Tun liegt ein Meer und auf seinem Grunde gar oft die gescheiterte Willenskraft.“ Mit welchen Worten würden Sie eine Person, die bei der Aufnahmeprüfung am Theater gescheitert ist, dazu motivieren, weiter zu machen und den Traumberuf nicht an den Nagel zu hängen?
Brauner: Ich würde der Person sagen, dass es dazu gehört zu scheitern, dass man aus Fehlern am meisten lernt und das Gegenwind stark macht. Deshalb darf man nicht aufgegeben. Hinfallen ist OK, Liegenbleiben nicht. Es gibt keinen Grund, sich von irgendwelchen Anderen aufhalten zu lassen. Erst Recht nicht, wenn es wirklich der Traum(beruf) ist. Und wenn es 20 Aufnahmeprüfungen wären ….
MILIEU: Vielen Dank für das Interview, Frau Brauner!
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