Nach der Pandemie der Populismus?
01.03.2021 -Im August letzten Jahres erschien in Großbritannien das Buch “Why the Germans Do it Better” von John Kampfner. Ich habe es nicht gelesen, aber man kann sich anhand des Titels ausmalen, worum es ungefähr geht. Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung hätte kaum passender sein können, fiel dieser doch in den Pandemiesommer nach der ersten Corona-Welle, die Deutschland recht glimpflich überstanden hatte, während sich die britische Regierung des oftmals als Clown beschriebenen Boris Johnson alles andere als mit Ruhm bekleckert hatte. Auf der einen Seite die kompetente, seriöse und unaufgeregte Merkel-Truppe, auf der anderen ein Kabinett, für das als Schlüsselqualifikation nicht die persönliche Eignung für den Ministerposten, sondern die Begeisterung für den Brexit gilt – so oder so ähnlich die Narrative, warum die Bewältigung der Pandemie in Deutschland und im Vereinigten Königreich im Vergleich so unterschiedlich verlief.
Nun aber haben sich die Vorzeichen deutlich verschoben. Dank einer bisher überaus erfolgreichen Impfkampagne konnte Premier Johnson kürzlich seinen Stufenplan aus dem Lockdown vorstellen. Spätestens im Sommer, so die Hoffnung und das Ziel, soll dann fast wieder Normalität herrschen. Seitdem hat sich die Stimmung auf der Brexit-Insel deutlich gehoben, während in Deutschland hingegen der Frust mangels Öffnungsperspektive wächst. Aber es ist nicht nur Großbritannien, das zur Jahreshälfte Herdenimmunität gegen Covid erreicht haben sollte. Auch in den USA läuft das Impfen auf Hochtouren. Die Trump-Regierung hat bei der Pandemiebewältigung zwar spektakulär versagt, doch glücklicherweise die “Operation Warp Speed” ins Leben gerufen und sich aus dieser (auch glücklicherweise) dann weitestgehend herausgehalten. Das Ergebnis dieses Projekts: Bevorzugte Lieferungen des Biontech/Pfizer- und Moderna-Vakzins und Stand heute über 70 Millionen verabreichte Dosen, was circa 20% der Bevölkerung entspricht.
Der Schein deutscher Kompetenz
Die Bilanz in Deutschland ist weniger beeindruckend. Das kann man zwar auf die zu zögerliche Impfstoffbeschaffung seitens der EU schieben. Aber wenn von den circa 8,4 Millionen bisher gelieferten Dosen gerade einmal 70% verimpft wurden und man vielerorts liest, dass Impfzentren den AstraZeneca-Stoff nicht loswerden, dann klemmt es nicht nur bei den Lieferungen, sondern auch bei der Verteilung. In der Bevölkerung wird so etwas natürlich registriert und es wirft ein paar ziemlich grundsätzliche Fragen auf, zum Beispiel: Sind unsere Bundes- und Landesregierungen vielleicht gar nicht so viel kompetenter als jene, die gemeinhin als populistisch verschrien werden? Hatte Deutschland während der ersten Pandemiewelle einfach nur mehr Glück als andere?
Es war ja schon beinahe etwas unheimlich, welche Ausnahmerolle die Bundesrepublik zuletzt innerhalb der G7-Staaten einnahm. In den USA “regierte” der Ignorant Trump; die Briten votierten für den Brexit und später für den Dampfplauderer Johnson. In Italien teilten sich die Linkspopulisten der 5-Sterne-Bewegung die Macht mit Salvinis Rechtspopulisten der Lega. In Frankreich kam es bei der letzten Wahl zu einem Dreikampf zwischen dem Zentristen Macron und den Links- wie Rechtsaußen Mélenchon und Le Pen. In Deutschland hingegen verwaltete die große Koalition unter Angela Merkel unseren Wohlstand und stand für Stabilität und politische Kompetenz. Doch inwiefern ist dieses Bild angesichts der letzten Monate und der Pandemiebewältigung hierzulande noch zutreffend?
Populisten können impfen
Es stimmt zwar, dass Deutschland weniger Corona-Tote zu beklagen hat als zum Beispiel Großbritannien, das ja bekanntermaßen von dem Wuschelhaar-Populisten Johnson mehr schlecht als recht durch die Pandemie geführt wurde. Aber musste die Bund-Länderkonferenz nicht auch mehr als einmal eine Kehrtwende hinlegen und Irrtümer eingestehen, ähnlich wie der viel gescholtene britische Premier? Der Gesundheitsminister, Matt Hancock, hat viel versprochen und wenig geliefert. Erinnert das nicht irgendwie an Jens Spahn? Der Bildungsminister, Gavin Williamson, hat sich während der Pandemie mindestens drei riesengroße Böcke geleistet und in Sachen “Corona & Schule” auf ganzer Linie versagt. Aber würde nicht ein Großteil der deutschen Bevölkerung ebenfalls derart harte Worte für die hiesigen Kultusminister wählen? Auch wüsste ich nicht, inwieweit Deutschland mehr für den Schutz vulnerabler Gruppen getan hätte. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Situation im Vereinigten Königreich war und ist um einiges dramatischer als in der Bundesrepublik, die Kontaktbeschränkungen noch auf absehbare Zeit merklich schärfer und der gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Schaden deutlich höher, was vor allem daran liegt, dass man in London zweimal zu spät den Lockdown ausgerufen hat. Doch in Großbritannien gibt es nun immerhin eine klare Perspektive auf Besserung.
Ob man nun UK oder andere Staaten zum Vergleich heranzieht: Ich habe nicht den Eindruck, als hätten die verantwortlichen Minister in Deutschland deutlich mehr auf die Beine gestellt als ihre Pendants in anderen Ländern, darunter auch solche, von denen man sagt, sie würden von “Populisten” regiert. Und immerhin haben die angelsächsischen Populisten Johnson und Trump die Sachen mit dem Impfen relativ gut hinbekommen (indem sie es an Fachleute mit Sachverstand delegierten und sich dann nicht weiter einmischten). Die Regierung in London hat zudem gezeigt, dass sie zu evidenzbasierter Politik fähig ist. Sie hat bereits früh auf einen „First Doses First“-Ansatz umgestellt, dessen Vorzüge in der hiesigen Politikwelt bisher anscheinend nur Karl Lauterbach verstanden hat.
Deutschland, der nackte Kaiser?
Das kratzt natürlich stark am Selbstbild der deutschen Politik. Galt Deutschland nicht als Hort der Stabilität und kompetenter Staatsführung? Ist Angela Merkel nicht die Krisen-Kanzlerin, die Deutschland erfolgreich erst durch die Finanz- und dann durch die Eurokrise führte? Die deutschen Wählerinnen und Wähler mögen die Große Koalition zwar nie geliebt haben. Aber viele von ihnen werden sie dafür schätzen, dass unter ihr „ordentlich gearbeitet“ wird und die Dinge wirtschaftlich wesentlich besser laufen als in weiten Teilen Europas und politisch weniger turbulent zugehen als zum Beispiel in den USA und England. Angesichts der Hilf- und Ideenlosigkeit in der Corona-Pandemie sind allerdings durchaus Zweifel angebracht, inwieweit die Verantwortlichen in der deutschen Politik einen positiven Beitrag zur durchaus komfortablen Situation der letzten zehn Jahre beigetragen haben. Trägt der Kaiser etwa keine Kleider?
Das Schöne an einer Demokratie mit Mehrparteiensystem ist, dass man politisches Versagen durch sein Wahlverhalten bestrafen kann. Doch das mangelhafte Management in Sachen Corona ist ja nicht nur auf Berlin, den Gesundheitsminister oder die GroKo beschränkt. Die Bundesländer genießen bei der Pandemiebekämpfung sehr viel Autonomie und hätten aus Eigeninitiative (Stichwort Schulen) einiges besser machen können – was immerhin auf Kreisebene vereinzelt geschehen ist. Doch im Großen und Ganzen hakt es nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Ländern und in denen regieren Grüne, FDP und Linke mit. Selbst wenn die Parteienkonstellationen es zuließen, mit „Regierung raus, Opposition rein“ wäre nur wenig erreicht. Die Enttäuschung und Frustration, die nun bei vielen zu spüren ist, entspringt meiner Meinung nach nicht nur der Lockdown-Müdigkeit. Ich fürchte, dass sich zunehmend das Gefühl aufdrängt, von den Politikern über das gesamte Parteienspektrum hinweg und der Verwaltung, sprich: dem Staat im Stich gelassen zu werden.
Bundeswahl 2025: Zeit für Populismus?
Das ist fatal, denn geht das grundlegende Vertrauen in den Staatsapparat und jene, die ihn ministeriell repräsentieren, verloren, dann sät dies den Nährborden, auf dem Populismus – rechts wie links – gedeiht. Wenn dann die Langzeitkosten der Pandemie – verlorene Jobs, erhöhte Staatsverschuldung, psychische und soziale Probleme – am Ende auch noch ungerecht verteilt werden sollten, dann wäre der Grundstein für eine breite Populismuswelle bei der Bundestagswahl 2025 gelegt. Deutschland würde dann das ereilen, was man in den USA, in Großbritannien, in Spanien und in Italien in den letzten fünf Jahren beobachten konnte. Es muss nicht so kommen; das Ruder kann noch herumgerissen und eine nachhaltige Vertrauenskrise vermieden werden. Das Politik-Establishment muss nun zeigen, dass es dieser Krise gewachsen ist.