Kann eine neue antimilitaristische Bewegung der NATO-linken Paroli bieten?
01.06.2022 -Es ist dringend notwendig, dass auch in Deutschland eine neue antimilitaristische Bewegung entsteht, die sich von Geopolitik und Antiamerikanismus fernhält.
Nach mehr als drei Monaten Krieg in der Ukraine kann man feststellen, dass sich eine NATO-linke etabliert hat, die auch politische Spektren erfasst, die noch vor mehr als 20 Jahren bei den Kriegen, die den jugoslawischen Zerfallsprozess begleiteten, klar gegen die NATO und vor allem die Rolle Deutschlands beim Zerfall Jugoslawien positioniert hatten. Sie standen damit klar gegen die Grünen, die frisch in der Bundesregierung den Jugoslawienkrieg als Fortsetzung des Antifaschismus mit anderen Mitteln rechtfertigten. „Nie wieder Auschwitz“ war die Begründung des Außenministers Joschka Fischer für die deutsche Beteiligung an dem Krieg. Dagegen wehrten sich vor über 20 Jahren die Überlebenden von Auschwitz, aber auch jüngere deutschlandkritische Linke. Sie erinnerten damals daran, dass im jugoslawischen Zerfallsprozess in Kroatien und im Kosovo wieder politische Kräfte Oberwasser bekommen hatten, deren politische Vorfahren mit Hitler-Deutschland kooperierten und sich beim Antisemitismus nicht von ihnen übertreffen lassen wollten, in dem sie wie die Ustascha in Kroatien selbst für Mordaktionen gegen Jüdinnen und Juden verantwortlich war.
Parallelen zwischen der Ukraine und Kroatien
Diese deutschlandkritische Linke hatte in den 1990er Jahren noch klar erkannt, dass es kein Zufall war, wen die politische Klasse in Deutschland im Zuge des jugoslawischen Zerfallsprozesses propagierte. Schließlich haben die Erben der Ustascha den Kalten Krieg in der BRD überlebt. München war ihr Exilort, wo sie bald im Auftrag des US-amerikanischen und des westdeutschen Geheimdienstes ihren Kampf gegen den jugoslawischen Nominalsozialismus fortsetzten.
Dort konnten sie auch die ukrainische Exilgemeinde treffen. Schließlich lebte der ukrainische Nationalistenführer Stepan Bandera ebenfalls in München, wo er seine Anhänger um sich versammelte. Er starb mutmaßlich nach einem KGB-Anschlag und ist in München beerdigt, wo ihn viele ukrainische Nationalisten und auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, bereits mit Kränzen ehrten. Es gibt also viele Parallelen zwischen den nationalistischen Bewegungen der Ukraine und Kroatiens. Die Kooperation mit NS-Deutschland, mit dem sie den eliminatorischen Antisemitismus teilten, ihr Exil in Westdeutschland, wo die ehemaligen Nazifreunde zu Kämpfern für das christliche Abendland gegen die Sowjetunion mutierten. Mit den Zerfallsprozessen nach 1989 in Osteuropa bekamen sie eine zweite Chance und in alter Verbundenheit war es wieder die offizielle deutsche Politik, die diese Kräfte protegierte.
Unterschiedliche Positionierung der Linken
Die Parallelen sind frappierend. Da muss man sich schon fragen, warum ein Großteil der Linken in Deutschland sich so gegensätzlich positioniert. Es gab in den 1990er keine relevante linke in Deutschland, die die kroatischen Nationalisten unterstützte.
Es gab eine Minderheit, die das serbische Regime unter Milosevic auch mit Verweis auf die Verbrechen der Nazis an den Serben protegierte, darunter Traditionskommunisten und eine Fraktion der sogenannten Antideutschen. Die überwiegende Mehrheit der Linken in Deutschland lehnte aber jeden positiven Bezug auf Nationalismen ab und arbeitete die braunen Wurzeln des kroatischen Nationalismus und Antisemitismus heraus, ohne deshalb den serbischen Nationalismus zu unterstützen. Vielmehr wurde auf die emanzipatorischen Hintergründe der jugoslawischen Idee verwiesen, die ihre Wurzeln schon in der Zeit des 1. Weltkriegs hatte. Der Zusammenschluss der Ethnien des Balkan in einem Staat war ein Beitrag zum Antinationalismus. Die Zerschlagung Jugoslawiens und die Bildung verschiedener Nationalstaaten, manche mit offen braunen Bezügen, war hingegen ein Projekt der Barbarei – und als solches wurde es von einem Großteil der Linken auch deutlich benannt. Sie standen damit in klarer Konfrontation zu den bellizistischen Grünen, die schon in Kroatien die Ustascha-Erben nicht als Nazis bezeichnen wollten. Daher war es auch keine Überraschung, dass führende Grüne von Anfang zu den eifrigsten Unterstützer*innen des ukrainischen Nationalismus wurden. Die langjährige Politikerin der Grünen Rebecca Harms schwärmte in Interviews von dem Geist des Kiewer Maidan und meinte die rechtsoffene Bewegung von 2014, die einen in bürgerlichen Wahlen an die Macht gekommenen Präsidenten mit Gewalt vertrieb, weil der sich nicht an den Westen binden wollte, sondern für eine neutrale Ukraine zwischen der EU und Russland eintrat. Die rechtsoffene Maidan-Bewegung wurde von Leuten wie Harms und vielen anderen auch aus den Milieu der Grünen als Kämpfer*innen gegen Russland akzeptiert. Es waren diese ukrainischen Nationalisten, die das Land als Vorposten des sogenannten Westens gegen Russland anbot und damit in dem großrussischen Chauvinismus eines Putins und seiner Encourage einen Gegenspieler gefunden haben. Auf beiden Seiten wird die Bevölkerung mit nationalistischer Ideologie als Kanonenfutter zugerichtet. Genau davor hatten Linke mit ihrer Kritik an Staat und Nation im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen immer gewarnt. Daher ist es ein besonderer Ausdruck der Regression, dass in der Ukrainekrise auch viele dieser deutschlandkritischen Linken heute in ihren Bellezismus auf Seiten der Ukraine von den Grünen kaum mehr zu unterscheiden sind. Es ist auch der endgültige Bankrott der antideutschen Linken. In den aktuellen Kriegen zwischen unterschiedlichen nationalistischen Blöcken und Gruppen haben sie doch noch ihren Platz in den Schützengräben der Deutsch-EU gefunden. Die verloren geglaubten antideutschen Söhne und Töchter der 1990er Jahre sind doch zu guten Bürger*innen der deutschen EU geworden, die sie sogar mit aller Gewalt verteidigen wollen. Diese Wende deutete sich allerdings schon in den 1990er Jahren an, als der in antideutschen Kreisen viel gelesene und diskutierte US-Historiker Daniel Goldhagen die willigen Vollstrecker der NS-Volksgemeinschaft prägnant kritisierte, aber Nachkriegsdeutschland gleichzeitig von aller Verantwortung freisprach.
Herausforderung für eine neue Antimilitarismusbewegung
Der neue deutsche Nationalismus, der sich als Weltmeister der NS-Aufarbeitung selber feiert, aber an Bündnispartnern wie Asow und Ustascha keinen Anstoss nimmt, müsste zum Gegenstand von theoretischer und praktischer Kritik werden. Das ist die Herausforderung, der sich eine neue antimilitaristische Bewegung in Deutschland stellen muss. Das bedeutet, dass aus den Fehlern der deutschen Friedensbewegung gelernt werden müsste, die immer auch deutschnationalen Parolen arbeitete, weil für sie der Hauptfeind eben nicht Deutschland, sondern die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition besonders die USA war. So sorgte diese Friedensbewegung mit dafür, dass sich Deutschland als selbstbewusste Nation gerieren konnte. Genau darauf rekurriert der nun wieder parteilose Sozialdemokrat Oskar Lafontaine, wenn in einem Interview mit der Tageszeitung junge Welt im Vorfeld des Kongresses „Ohne NATO leben“ Ende Mai in Berlin das deutsche Kapital regelrecht umworben hat.
Aufgrund der Dummheit der Grünen, der anderen Politiker der Ampelkoalition, aber auch der sie unterstützenden CDU/CSU verlieren deutsche Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit. Wir schießen uns ins eigene Knie. Die USA lachen wahrscheinlich über uns, weil sie von den Sanktionen kaum betroffen sind, ihr Flüssiggas jetzt in höherem Umfang in Europa absetzen können und ihre Waffenindustrie riesige Geschäfte macht.
Junge Welt, Oskar Lafontaine
Hier wird ein deutsches "Wir" konstruiert, das von Arbeiter*innen bis zur Kapitalistenklasse reichen und sich gegen die USA wehren soll. Das ist nur die Kehrseite des "Wir", das die Fraktion der Vaterlandsverteidiger konstruiert. Dagegen sollte sich eine antimilitaristische Bewegung auf der Höhe der Zeit in die Tradition der Zimmerwalder Linken stellen. Dabei handelt es sich um Einzelpersonen und Gruppen vom linken Flügel der Arbeiter*innenbewegung verschiedener Länder, die im 1. Weltkrieg die Politik des Burgfriedens der meisten sozialdemokratischen Parteien ablehnten. Sie trafen sich in dem Ort Zimmerwald in der Schweiz, wodurch sie den Namen bekamen. Die Saat dieser Zimmerwalder Linken ging mit den Revolutionen in Russland 1917 und im Anschluss in vielen anderen europäischen Ländern wie im November 1918 Deutschland auf. Ihnen ging es damals um nichts weniger als die Schaffung einer Welt, in der Kriege der Vergangenheit angehören sollten. Sie kannten noch den inneren Zusammenhang zwischen Krieg und Kapitalismus, weil sie die Schriften von Marx und Rosa Luxemburg gelesen hatten. Weil solche Grundlagen heute weitgehend verschüttet sind, wird die Regression großer Teile der gesellschaftlichen Linke in der Ukraine-Krise beschleunigt. In der Praxis muss sich zeigen, ob sich eine solche antimilitaristische Bewegung auf der Höhe der Zeit in Deutschland etablieren und der NATO-linken Paroli bieten kann.