Politik

Joachim Gauck in der Türkei - eine Nachlese

15.05.2014 - Eren Güvercin

Joachim Gauck hatte kritische Worte angekündigt und er fand sie auch. Sowohl im Gespräch mit Abdullah Gül, dem türkischen Staatspräsidenten, als auch während eines Vortrages vor Studenten der Universität Ankara, kritisierte er, wie Recep Tayyip Erdogan und seine Regierung mit Staatsanwaltschaft und außerparlamentarischer Opposition umgegangen sind.

Wenn er auch die Frageform wählte, war doch seine Botschaft klar: Er sorgt sich, dass Rechtsstaat und Gewaltenteilung in der Türkei durch den Premierminister beschädigt werden. Die deutsche Presse sprach von “mutigen und offenen Worten”. Soweit so gut. Erdogans Antwort dagegen wurde als “wütend, aggressiv, polemisch” etikettiert. Soweit so ungut, denn der Inhalt seiner Parlamentsrede interessierte nicht weiter.

Joachim Gauck wird also als wohlformulierender Pastor, Recep Tayyip Erdogan als wortgewaltiger Politik-Rambo neben einem diplomatisch zurückhaltenden Abdullah Gül dargestellt. Ist das wirklich so einfach? Sicher wirkt das Gebaren des türkischen Regierungschefs aggressiv. Doch es mangelt uns Deutschen ein Gespür für das Emotionale der türkischen Sprache und noch mehr für die politische Kultur in der Türkei.

 

Zu Recht wies der Bundespräsident darauf hin, dass zwischen Partnern ein offenes, kritisches Wort möglich sein sollte. Diese Haltung muss sein Gastgeber in Ankara anscheinend noch lernen. Jedenfalls tat er sich selbst keinen Gefallen, auf Kritik derart beleidigt zu reagieren. Konnte er doch in Deutschland stets Reden halten, ohne auf Berliner Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen.

Doch das deutsche Medienecho auf den beleidigten Erdogan wirkte nicht minder beleidigt. Da ist kein Versuch spürbar, das Wortgetöse zu filtern, den politischen Kern herauszuarbeiten und zu analysieren. Stattdessen wird das alte Klischee eines religiös-konservativen Spitzenpolitikers bedient, der wegen seines Erfolges immer mehr durchzudrehen und abzuheben scheint. Seriös, mit Gespür für Hintergründe war die deutsche Berichterstattung jedenfalls nicht.

Warum nehmen die Journalisten hierzulande nur ansatzweise die türkische Kritik am Umgang deutscher Behörden mit der Mordserie der Gruppe “Nationalsozialistischer Untergrund” wahr? Warum wird über Erdogans und Güls Anmerkungen nicht ausführlich berichtet, so ernsthaft wie über die kritische Rede des eigenen Bundespräsidenten.

Warum nimmt man Ankara nicht in einer Frage ernst, die die türkischstämmige Community in Deutschland bis heute tief bewegt? Die Deutschen waren sehr erbost, als die geheimen Spähaktionen des amerikanischen Geheimdienstes NSA bekannt wurden. Wird Joachim Gauck auch Barack Obama vor der Kulisse des Weißen Hauses in Washington seine Kritik vortragen – ähnlich klar und deutlich wie in Ankara? Wird er dies ebenfalls vor seiner Reise ankündigen? Werden die deutschen Kommentartoren dies von ihm erwarten?

Journalisten beanspruchen, der Wahrheit, der Objektivität verpflichtet zu sein. Werden in der Türkei Twitter und YouTube gesperrt, sehen sie darin einen Angriff auf die Pressefreiheit. Aber rechtfertigt eine solche Wertung, eine andere Sicht auf das gesellschaftliche Geschehen nicht zur Kenntnis zu nehmen? Die türkische Regierung sieht in den sozialen Medien eine Gefahr, wenn sie als Hetzorgane missbraucht werden, als Plattform, Demokratie und innere Sicherheit aktiv zu gefährden.

Ermittelnde Staatsanwälte zu versetzen, gewaltsam gegen Demonstranten vorzugehen oder Medien zu verbieten, brächte jede Regierung in Erklärungsnot. Doch das Erdogan-Bashing ist töricht und parteiisch. Es wird in der Türkei als publizistischer Generalangriff empfunden, nicht aber als notwenige Tugend, ein Übel beim Namen zu nennen. So werden kritische Worte unter Partner wertlos, anstatt angemessen und hilfreich zu wirken.

 

 

 

Foto: © UN Geneva

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