Wirtschaftsredakteur im Interview

Hans-Jürgen Jakobs: "Das Übergewicht der Wirtschaft ist eindeutig und gewollt"

15.04.2017 - Vera Stötzer

Kennen Sie die 200 mächtigsten Akteure des Weltfinanzwesens, die zusammen mehr als 40 Billionen US-Dollar besitzen? Nein? Dann wird es höchste Zeit! DAS MILIEU sprach mit Hans-Jürgen Jakobs, Volkswirt und einer der renommiertesten deutschen Wirtschaftsjournalisten. Er arbeitete unter anderem für den "Spiegel" und war Chef der Online-Ausgabe und der Wirtschaftsredaktion der "Süddeutschen Zeitung". Seit 2013 ist er in verschiedenen Funktionen für die Verlagsgruppe "Handelsblatt" tätig, bis 2015 war er Chefredakteur des "Handelsblatts". In seinem Buch „Wem gehört die Welt: Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus“ zeichnet er ein Bild der Akteure der globalen Finanzwelt und plädiert für stärkere Finanzmarktregeln.

DAS MILIEU: Seit Ihrem Studium für Volkswirtschaftslehre sind Sie als Journalist tätig. Und das mit dem Schwerpunkt auf Wirtschaft. Woher kommt dieses Interesse?

Hans Jürgen Jakobs: Willy Brandt, Ostverträge, Mitbestimmung, Atomdebatten – die 1970er Jahre waren bewegt. Schon in der Schule war ich sehr an Politik interessiert und habe beispielsweise eine Schülerzeitung gegründet. Die Neigung zum Politischen wollte ich im Studium vertiefen und habe mich dorthingehend weiterhin motiviert gefühlt. Meine Lust zum Schreiben konnte ich so mit dem Interesse an den politischen und wirtschaftlichen Vorgängen verbinden.

 

DAS MILIEU: Wie würden Sie ihr aktuelles Buch „Wem gehört die Welt: Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus“ in wenigen Sätzen beschreiben?

Jakobs: Das Buch versucht die wahren Akteure der Weltwirtschaft zu benennen und zu analysieren. Die Absicht des Buches leitet sich von der Anschauung her, dass viel über Kapitalismus geredet wird, aber zu wenig über die Kapitalisten. Das Buch will die gewaltigen Änderungen, die mit der Globalisierung in den letzten 25 Jahren verbunden sind, darstellen - eben mit Bezug auf die Kapitalseite, auf „Asset-Manager“, Staatsfonds, Pensionsfonds und die Superreichen der Privatinvestoren.

Viele der großen Kapitalisten, die Milliarden- oder sogar Billionen- in Märkte investieren, sind nicht bekannt. Die Investorenseite bleibt seltsam unbeleuchtet. Und dieses Buch versucht dem anonymen Kapital ein Gesicht zu geben und die Mechanik des globalen Kapitalismus zu erklären.

 

DAS MILIEU: Wird unsere Wirtschaft von vermeintlich dunklen Mächten gesteuert oder ist das nur ein Trugbild ?

Jakobs: Diese Personen, die so großen Einfluss auf Firmen und Märkte haben, sind in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Wenn man sie nun als dunkel bezeichnen würde, schwingt da natürlich eine gewisse Wertung mit.

Meine Beobachtung ist, dass Shadow-Banking – das Schattenbanken-System - mit der Finanzkrise sehr stark an Macht und Wucht gewonnen hat. Nach den Ereignissen von 2007 und 2008 ist eine scharfe Regulierung für Banken in Kraft gesetzt worden. Danach haben sich viele Risiken verlagert, von den Bankbilanzen zu neuen Finanz-Playern, die großen Einfluss haben. Sie unterliegen nicht diesen Regulierungen, machen aber bankenähnliche Geschäfte.

Das ist eine neue Entwicklung im Schatten oder zumindest im Halb-Schatten, die von Politik und Öffentlichkeit unzureichend bedacht wird. Es fehlt hier an Regulierungen.

 

DAS MILIEU: Aktuell liest man wieder vermehrt, dass rund um den Globus die Zeichen auf Wirtschaftswachstum und konjunkturelle Belebung stehen. Und das trotz politischer Unsicherheiten. Was meinen Sie, kann das gut gehen?

Jakobs: Es handelt sich allenfalls um leichte positive Indikatoren, aber für eine wirkliche dynamische Entwicklung langt das nicht. Es werden im Moment viele Hoffnungen kultiviert. Die größte Hoffnung speist sich aus den Vorgängen in den USA, wo wir einen gewissen Aktienboom erlebt haben – alles in Vorgriff auf die Deregulierungen durch die Administration des neuen Präsidenten Donald Trump. Ob dies alles auch so aufgeht, ist höchst unsicher. Solche Wetten sind immer riskant. An den Unsicherheitsfaktoren hat sich nichts geändert, die sind eher größer geworden. Die Trumpsche Kraftmeier-Politik des Protektionismus birgt Gefahren für den Freihandel. Das ist derzeit die größte Wohlstandsgefahr. Das ökonomische Gleichgewicht auf dem Weltmarkt kommt ins Wanken. Es muss sich ein neues Gleichgewicht einspielen - und damit ein neues Verhältnis der Kräfte der Weltwirtschaft.

 

DAS MILIEU: Politik und Wirtschaft sind untrennbar und stehen doch gleichzeitig dauerhaft in einem Interessenkonflikt. Wie schätzen Sie die Bedeutung dieser Wechselbeziehung ein?

Jakobs: Die Bedeutung ist enorm groß. Man hat viele Jahre in der Öffentlichkeit gestritten, wo das Primat liege. Gibt es das Primat der Ökonomie? Gibt es das Primat der Politik? Was kann Politik eigentlich noch leisten?

Wir erleben jetzt, wie in den USA wichtige Vertreter der Wirtschaft und der reichen Elite das Regierungskabinett bilden. Millionäre und Milliardäre bestimmen über Gesetze. Die Folge: eine Vielzahl von Erleichterungen für die Wirtschaft. Das zeigt ihre ganze Macht.

Die Konzerne sind über die Jahre immer größer geworden und haben mittlerweile eine große Konzentration auf den Weltmärkten geschaffen. An dieser Macht kommt keiner vorbei. Es ist eine Macht, die demokratisch nicht zu kontrollieren ist. Meine Schlussfolgerung: Das Übergewicht der Wirtschaft ist eindeutig und gewollt.

 

DAS MILIEU: Sie beenden ihr Buch mit dem Satz „Der Neokapitalismus ist in einer Legitimationskrise“. Was sind denn die Schwierigkeiten des sogenannten Neokapitalismus?

Jakobs: Die Schwierigkeit ist die Ungleichverteilung der Früchte der Produktion. Wir erleben eine starke Zusammenballung von Vermögen. Große Teile der Bevölkerung fühlen sich von der Globalisierung- oder dem, was man Neokapitalismus nennen kann – abgehängt. Das ist nicht ihr Spiel. Gewinne und Einkommen landen bei Wenigen, die noch reicher werden. Größere Bevölkerungsgruppen bleiben benachteiligt, haben ein hohes Jobrisiko und sind nicht in der Lage, ihre Risiken abzusichern. Ungleichverteilung ist das größte Risiko des Neokapitalismus. Das wird inzwischen auch vom Internationalen Währungsfond so gesehen.

Von daher wäre es Aufgabe nationaler Regierungen, für entsprechende Maßnahmen für eine bessere Verteilung zu sorgen, so zum Beispiel über Transfers oder Steuern.

Dieses Ungleichgewicht macht die Menschen misstrauisch, unzufrieden und anfällig für radikale Gruppen und populistische Strömungen. Hier spielt der Faktor Angst eine tragende Rolle.

 

DAS MILIEU: Gerade Donald Trump mischt die Weltwirtschaft zurzeit wieder ordentlich auf und bereitet globale Sorgen mit seinen Forderungen zu protektionistischen Maßnahmen für die USA. Liegt darin eine Gefahr für die globale Wirtschaft?

Jakobs: „America first“ ist eine Provokation. Die Weltwirtschaft braucht verlässliche Absprachen, braucht Abkommen und Verträge. Donald Trump will diese einseitig kündigen. Er möchte lieber als starker Solist mit einzelnen Ländern kooperieren. Noch macht er meistens nur Ankündigungen, aber man muss seine Absichten für bare Münze nehmen – etwa die Idee von Strafzöllen auf Produkte, die in die USA eingeführt werden. Denkbar sind auch alle möglichen Behinderungen ausländischer Konzerne und gleichzeitig einseitig verdeckte Förderungen amerikanischer Konzerne. Es machen sich ein neuer Patriotismus und ökonomischer Nationalismus breit.

Grundgedanke der modernen Ökonomie ist jedoch ein Austausch von Gütern und Dienstleistungen über die Grenzen hinweg. Arbeitsteilung schafft Reichtum. Diesen Grundkonsens verletzt Donald Trump. Das kann gefährliche Auswirkungen haben. Andere Länder könnten ihrerseits mit protektionistischen Maßnahmen kontern. Mit Handelskriegen ist am Ende keinem gedient.

Die Wirtschaft der USA ist nicht in einem optimalen Zustand. Man muss sich nur mal die hohe Verschuldung, die Außenhandelsdefizite und die Mängel in der Infrastruktur anschauen. Das Land hätte erstmal selbst genug zu tun, sich dieser Probleme anzunehmen. Das würde die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Die USA leben von zwei großen Stärken: Da ist auf der einen Seite das Kapital, das sich in der Wall Street widerspiegelt. Und da ist die Verfügung über Daten auf der anderen Seite, symbolisiert durch Silicon Valley. Man hat große Datenkomplexe aufgebaut. Vor allem die fünf Konzerne Google, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft haben weltweite Dominanz. Aber man muss eben auch die anderen Sektoren gestalten. Gerade jetzt blind auf die ausländischen Wettbewerber zu schießen, wäre eine fatal falsche Politik.

 

DAS MILIEU: Wie gefährlich schätzen Sie den Populismus tatsächlich für die Wirtschaft ein?

Jakobs: Der Populismus bedient Vorurteile und Ängste in der Bevölkerung. Je perfekter die Globalisierung wurde, desto fremder wurde sie bei den Bürgern. Die Globalisierung hat die Menschen aus dem Blick verloren und die Menschen durchschauen das System längst nicht mehr. Manchmal fehlt es an Informationen, an Bildung oder auch an Interesse. Es fehlt aber auch an Medien, die das Ganze transportieren. Diese Undurchschaubarkeit lässt leicht eine Tendenz entstehen, in der man nach einfachen Lösungen sucht. Alle Populisten bieten diese scheinbar einfachen Lösungen wie Handelsschranken oder Wälle gegen Migranten. Populisten sind auch Globalisierungsgewinner – so wie zum Beispiel große Vermögensverwalter wie Blackrock, die an vielen Konzernen beteiligt sind. Populisten beuten die Unsicherheit über deren Tun aus.

 

DAS MILIEU: Mit Blick auf die Zukunft: Wo sehen Sie die europäische Wirtschaft in einigen Jahren?

Jakobs: Europa muss das, was passiert ist und gegenwärtig passiert, zum Anlass nehmen, neu über die eigenen Grundbedingungen nachzudenken. Das europäische Idyll war gestern und existierte vor allem in Feiertagsreden. Die neue Realität sind Brexit, Donald- Trumpismus, Front National in Frankreich, nationalistische Absetzbewegungen in Polen, Ungarn und anderswo in Osteuropa.

Wir haben jetzt 60 Jahre Europäische Union gefeiert. Europa hat eine gewaltige Strecke durchschritten . Aber eine tiefer gehende Einigung, die politisch beherrschbar ist, ist nicht gelungen. Die Verantwortlichen haben mit der Einführung des Euro die politische Ebene vernachlässigt und an einen Automatismus geglaubt, der nicht eingetreten ist. Mittlerweile hat die europäische Idee sehr gelitten. Deswegen muss man ein gemeinsames Europa neu definieren. Nach Stand der Dinge bleibt nichts als ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Einer muss den Anfang machen und schnell sein. Das ist die Aufgabe von Deutschland und Frankreich, die entscheidende Motoren sind. Von hier müssen genügend Impulse kommen, damit der gemeinsame Markt und die gemeinsame Währung erhalten bleiben.

Das europäische System ist nur halbfertig. An der zweiten Hälfte muss man jetzt weiterarbeiten. Es wäre fatal, wenn sich verschiedene Nationalstaaten bilden, die unabhängig voneinander jeweils ihr eigenes Süppchen kochen. Die Schweiz-Lösung ist eben auch nur für die Schweiz interessant.

 

DAS MILIEU: Vielen Dank für das interessante Gespräch!

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