Jazz-Musiker im Interview

Gregory Porter: „Die Sehnsucht nach Gott steckt in meiner DNA.“

01.10.2020 - Tahir Chaudhry

27. November 2019, Berlin. Marmorboden, Kronleuchter und Klavier zieren das Ambiente des Regent Hotels am Gendarmenmarkt. Auf dem Flur stehend fällt der Blick durch einen Türspalt in eine kleine, aber luxuriöse Suite. Ein großer, schwarzer Mann mit Ballonmütze erhebt sich von einem grünen Samtsofa und geht entspannten Schrittes zur Mini-Bar. Während er sich Sprudel einschenkt, hört man ihn mit seiner Baritonstimme singen. Gregory Porter wird gefragt, was er essen möchte. „Das, was da ist“, antwortet er, setzt sich etwas müde wirkend auf die kleine Couch und wartet auf die erste Frage. Als es um seine Mutter geht, wird er hellwach. Es entwickelt sich ein Gespräch über den Glauben als Teil seiner musikalischen DNA, das Leben als Afroamerikaner in Trumps Amerika und fehlende Liebe in westlichen Gesellschaften.

Tahir Chaudhry: Mr. Porter, ich habe bei Ihren Tourbegleitern aufgeschnappt, dass Sie im Gegensatz zu anderen Künstlern als sehr pflegeleicht gelten. Würden Sie das auch so sehen?

Gregory Porter: Ich versuche tatsächlich, niemandem zur Last zu fallen, besonders wenn der Terminplan eng getaktet ist. Warum soll ich meine Lebenswirklichkeit, der ich mich freiwillig ausgesetzt habe, noch komplizierter machen, indem ich Allüren an den Tag lege?

Chaudhry: Haben Sie schon immer so gedacht?

Porter: Ja, schon als Kind. Mein Bruder war als Kind ziemlich anstrengend und trotzig. Meine Mutter hat ihn immer einen Dickkopf genannt und gesagt, dass das mit seiner problematischen Geburt zu tun habe. Ich dagegen sei ziemlich ruhig und sanft aus ihrem Bauch gekommen, sie glaubte, dass sich das in meiner Persönlichkeit widerspiegeln würde. Und tatsächlich denke ich, dass es in jeder problematischen Situation irgendeine einfache Lösung geben muss. Ich versuche wie das Wasser zu sein.

Chaudhry: Wie hat Bruce Lee es gesagt: „Be water, my friend!”

Porter: Ganz genau!

Chaudhry: Dahinter steht der Ansatz, formlos zu sein, nicht starr, sondern anpassungsfähig.

Porter: Richtig. In meinen Songs spielt das Wasser auch eine wesentliche Rolle, immer wieder kehre ich in meinen Songs zum Wasser als wesentlichem Baustein des Lebens zurück. Es funktioniert für mich wie eine mystische Metapher.


Chaudhry: Ihre Mutter war eine Pastorin. Welchen Einfluss hat der Glauben auf Ihren Charakter?

Porter: Religion hat in meiner Kindheit für eine gewisse Struktur im Alltag gesorgt, und der Glaube an eine höhere Macht hat seither einen großen Nutzen für mich. Es war immer jemand da, der mich und meine Familie über Wasser gehalten hat. Gott war immer für uns da, auch dann, wenn uns etwas fehlte.


Chaudhry: Was hat Ihnen gefehlt?

Porter: Ein Vater. Das ist keine Seltenheit in der afroamerikanischen Unterschicht, aus der ich komme. Wenn Sie sich fragen, woher die Melancholie in meiner Stimme kommt: Sie rührt von dem Wunsch her, einen Vater in meinem Leben gehabt zu haben. Diese Sehnsucht war in manchen Momenten so unerträglich, dass nur der Gedanke an Gott mir Sicherheit und Ruhe geben konnte. Die Gegenwart Gottes hatte solch einen tiefgreifenden Einfluss auf mein Denken, dass mein Glaube bis heute in meiner Kunst durchschimmert. Wenn Sie sich mit den bedeutendsten Soul- und Jazzmusikern beschäftigen, nehmen wir Marvin Gaye, Al Green, Ray Charles oder Luther Vandross, dann sehen Sie: Egal, wie stark sie in ihren Songs die Liebe zu einer Frau behandelt haben, ihre stilistische Inspiration rührt aus dem Besingen der Gegenwart Gottes. Sie lernten in der Kirche, sich vom Heiligen Geist beherrschen zu lassen, was ihnen ermöglichte, Dinge zu formulieren und Töne zu singen, die sie normalerweise nicht hätten singen können. Auch ich habe mir die Werkzeuge in der Kirche angeeignet, nun wende ich sie in der säkularen Sphäre an. Die Sehnsucht nach Gott steckt in meiner musikalischen DNA.


Chaudhry: Die Sehnsucht nach Gott ist auch eine Sehnsucht nach Sinnerfüllung. Haben Sie den Sinn Ihres Lebens gefunden?

Porter: Sehen Sie, die schlimmste Form der Strafe, die man für einen Menschen verhängen kann, ist, ihn daran zu hindern, zu anderen Menschen Kontakt zu haben. Im US-amerikanischen Justizsystem verstößt diese Isolations-Bestrafung gegen unsere Verfassung. Warum ist diese Strafe so außerordentlich? Weil wir Menschen die Fähigkeit besitzen, etwas zu empfinden – und wir mit diesen Empfindungen nicht alleine bleiben wollen. Ich glaube daher, dass das Ausdrücken von Liebe den Sinn des menschlichen Lebens darstellt. Denn nur die Liebe ermöglicht es uns, durch die Beziehung zu unseren Mitmenschen zu wachsen. Es hört sich vielleicht kitschig an, aber die Liebe steht für mich am Anfang und am Ende. Das heißt nicht, dass ich mit einer rosaroten Brille durch die Welt gehe. Keine der großen Weltreligionen, ob antike oder moderne, behauptet, dass alles in dieser Welt eitel Sonnenschein sein würde. Sie alle sprechen von einem Dualismus: Es wird Feuer und Wasser geben, Hässlichkeit und Schönheit, Glück und Leid.

Chaudhry: „Warum lässt Gott Leid zu?“ – das ist genau die Frage, die viele Menschen an Gott zweifeln lässt. Ist diese Frage vielleicht der Hauptgrund, warum sich Menschen insbesondere in der westlichen Welt mehr und mehr von Gott entfernen?

Porter: Interessant, wie Sie das formulieren: „Sie entfernen sich von Gott.” Die Menschen in meinem Umfeld haben sich jedoch eher vom menschgemachten Konstrukt entfernt: von den Institutionen, den Regeln, den Mittlern, die völlig überhöht wurden und an die Stelle von Gott gerückt zu sein schienen.


Chaudhry: Sind auch Sie vom „Bodenpersonal Gottes“ enttäuscht?

Porter: Die Bibel lässt Jesus sagen: „Viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: ‚Ich bin der Messias!‘ – und sie werden viele irreführen.” Um nur ein Beispiel zu nennen: Es gibt Prediger, die auf finanziellen Wohlstand und geschäftlichen Erfolg fokussiert sind, sogenannte Wohlstandsevangelisten, die damit werben, ihre Kirche würde mehr Reichtum garantieren als die der anderen Prediger. Die meisten Menschen, die ich kenne, halten sich von einer solchen institutionellen Religion fern und halten an Gott in ihrem Herzen fest. Und auch ich gehe selten in die Kirche – auch, weil ich oft unterwegs bin.


Chaudhry: Beten Sie?

Porter: Ja, jeden Tag. Bevor ich einen Schluck vom Tee nehme, danke ich Gott. Wenn ich mich von Menschen verabschiede, spreche ich Segenswünsche. Das Gebet begleitet mich in meinem alltäglichen Leben wie der Gesang. Ich singe fast den ganzen Tag, in jedem Moment. Klar, ein Gebet passt nicht zu jedem Moment, weil nicht alles, was ich tue, im göttlichen Sinne rein ist. Wenn ich Whiskey trinke und eine Zigarre rauche, passt das Gebet vorab nicht. (lacht)


Chaudhry: Wie hat sich Ihr heutiger Glaube im Gegensatz zu früher verändert?

Porter: Ich glaube heute an das Recht einer persönlichen Reise zu Gott für jeden Einzelnen. Jeder einzelne Weg muss über kurz oder lang zu Gott führen. Und man darf Menschen nicht dafür kritisieren, dass sie noch am Anfang dieser Reise sind.


Chaudhry: Sie meinen, dass wir uns oft wünschen, dass sich andere Menschen sofort verändern, wir
ihnen aber gleichzeitig nicht den Raum für ihre Entwicklung und ihren eigenen Erkenntnisprozess lassen?

Porter: Exakt. Der Mensch neigt dazu, sich schon in jungen Jahren wie ein Meister zu fühlen. Er ist jedoch so früh weder ein spiritueller noch ein musikalischer Meister. Und er ist schon gar nicht ein Meister seiner selbst. Was ein junger Mensch nicht erahnen kann, ist, dass er mit den Jahren weiter an Wissen, Weisheit und Erkenntnis gewinnen wird. Es gibt Lebensphasen, in denen Menschen häufiger irren und scheitern. Wenn man diese Menschen aber als Reisende betrachtet, dann wird man gelassener in der Bewertung und behält ihnen gegenüber einen Grundoptimismus bei.


Chaudhry: Ihre persönliche Reise hat Ihnen ab 2010 einen großen musikalischen Erfolg eingebracht. Was hat sich seit Ihrem Durchbruch vor zehn Jahren verändert?

Porter: Ich habe inzwischen weniger Zeit für Menschen, die mir viel bedeuten. Und weniger Zeit und Gelegenheit, selbst einzukaufen und zu kochen.


Chaudhry: Und was hat sich zum Positiven verändert?

Porter: Meine Perspektive. Ich weiß erst jetzt, nach dieser langen Reise, welchen Effekt meine Musik auf Menschen in aller Welt hat. Ich habe begriffen, wie sie in der Lage ist, die Menschen tief im Innern zu berühren. Früher war ich schüchtern und unsicher. Ich dachte, dass meine Zuhörer nur nett sein wollten, wenn sie mein Talent lobten. Als der Erfolg kam, hörte ich öfter Lob – und zwar auch von Menschen, die noch nicht von meinem Können überzeugt waren. Mein Selbstbewusstsein ist dadurch deutlich gewachsen. Wenn meine Zuschauer mir heute etwas von ihrer Zeit schenken und von ihrem Geld geben, dann setze ich alles daran, um ihnen etwas zurückzugeben. Und das Beste, was ich ihnen von mir geben kann, ist, für sie über nichts anderes zu singen als über das, woran ich wirklich glaube, was ich erlebt habe.

Chaudhry: Was versuchen Sie durch Ihre Musik in den Zuhörern zu wecken?

Porter: Es geht in meiner Musik, mal subtil, mal offensichtlich, darum, den gegenseitigen Respekt zu wecken und die Liebe in all ihren Formen zu erkunden. Pessimisten halten die Liebe für total überschätzt, für ein Klischee, für Quatsch, eine Lüge. Darauf erwidere ich, dass ich genau dieses Klischee, diesen Quatsch, diese Lüge haben möchte. Ich möchte mein Spiel mit diesen Pessimisten treiben! Ich möchte der Liebe mehr Luft verschaffen.


Chaudhry: Nehmen diese Pessimisten überhand?

Porter: Ich fühle eine gewisse Grausamkeit, ja. Die Sklaverei, die Genozide, der Holocaust wirken uralt, aber sie sind eigentlich nur einen Wimpernschlag von uns entfernt. Der Mensch ist dazu fähig, sie jederzeit zu wiederholen. Auch das Internet und die sozialen Medien geben der Liebe wenig Raum. Durch sie sind die großen Grausamkeiten allgegenwärtig, was die kleinen Grausamkeiten des Alltags als winzig erscheinen lässt. Ich glaube weiterhin fest daran, dass die Liebe über kurz oder lang immer die Oberhand gewinnt. Aber das, wenn man so will, Zwischenergebnis in diesen Zeiten fühlt sich anders an.


Chaudhry: Welche Rolle spielt dabei jemand wie US-Präsident Trump?

Porter: Durch ihn können Menschen mit rassistischen Tendenzen, die es nie gewagt haben, diese zum Ausdruck zu bringen, genau dies tun – und sich dabei wohler fühlen als zuvor. Dieser Präsident hat eine sehr subtile und raffinierte Art des Umgangs mit seinen Worten. Er weiß, welche Sprache er verwenden, wem er Komplimente machen, wann er schweigen und wem er eine Stimme geben muss. Sehen Sie, meine Frau ist Russin. Nur weil sie mit einem Amerikaner verheiratet ist, heißt das nicht, dass ihre Einbürgerung unkomplizierter wäre. Und weil wir wussten, dass es unter Trump nicht besser werden würde, haben wir direkt nach der Wahl den Druck auf die Behörden erhöht, um die Einbürgerung schneller zu vollziehen. Es ist offensichtlich, dass Trump eine Politik auf dem Rücken von Minderheiten macht. Er nutzt die Mexikaner und Muslime als Feindbilder, aber er macht allen Menschen ausländischer Herkunft das Leben schwer. Auch meiner Frau.


Chaudhry: Ihr Sohn ist sechs Jahre alt. Wie nimmt er die Stimmung auf?

Ich hatte gehofft, dass meinem Sohn gewisse Formen von Schwachsinn im 21. Jahrhundert erspart  bleiben werden.


Chaudhry: Vergebens?

Porter: Scheint so, ja. Es gab Momente, in denen er gesagt hat, dass er sich wünschen würde, lieber weiß zu sein.


Chaudhry: Was haben Sie zu ihm gesagt?

Porter: Gott hat dich so gemacht – und die Hautfarbe sagt nichts über den Wert eines Menschen aus. Als sich mein Sohn dann von einem Mitschüler einmal das N-Wort anhören musste, musste ich ihm genau das sagen, was meine Mutter damals zu mir gesagt hatte: Deine Hautfarbe, deine Haarstruktur, die Form deiner Nase – alles das sind Geschenke Gottes. In solchen Momenten sehe ich meinen Sohn als Spiegel unserer Gesellschaft. Er macht mir klar, dass unsere Gesellschaft nicht das ist, was sie behauptet zu sein. Denn wenn jemand wie Trump so negativ spricht und diese Gesellschaft trotzdem überwiegend für ihn stimmt, dann ist diese Gesellschaft kaputt! Vor fünf Jahren hatte ich das Gefühl, dass unsere Gesellschaft auf dem richtigen Weg ist. Jetzt erleben wir einen enormen Rückschritt.


Chaudhry: Wie würden Sie rückblickend Ihre Kindheit bewerten?


Porter: Es war definitiv ein Glücksfall, das Kind einer Mutter wie meiner zu sein. Es spielte für mich keine Rolle, ob wir Geld hatten oder nicht. Sie gab uns ihre Liebe und Zuneigung. Sie machte uns mit ein wenig Reis und Eiern satt. Es hat geschmeckt und das war die Hauptsache. Heute bin ich  wohlhabend und zahle viele Steuern, und doch erfahre ich auch weiterhin, nicht wirklich akzeptiert zu sein.


Chaudhry: Wann zum Beispiel?

Porter: Bis heute werde ich zu oft von der Polizei angehalten und kontrolliert. Wenn ich auf Tournee bin, ist das anders.


Chaudhry: Was meinen Sie?

Porter: Meine Cousins waren kürzlich in Europa unterwegs. Sie haben sich oft sehr unwohl gefühlt und häufig subtile Formen des Rassismus erlebt. Ich habe meine Europa-Reisen bis dahin ganz anders bewertet, aber nach den Berichten meiner Cousins habe ich gemerkt, dass ich differenzieren muss. Wenn ich im Rahmen einer Tournee reise, dann bin ich für viele Menschen der Mann mit dem seltsamen Hut, der schöne Lieder singt. Man behandelt diesen Mann besser, lässt ihn auf Wegen laufen, die mit Lilien gepflastert sind. Wenn ich aber mit meiner Familie privat verreise, ist das anders, dann werde ich kritischer beäugt, im Restaurant ignoriert oder auf dem Flughafen wie ein potenzieller Terrorist behandelt. Aber ich will nicht jammern, ich bin sehr privilegiert. Und im Gegensatz zum jungen Gregory  Porter bin ich heute nicht mehr gezwungen, Dinge zu tun, die mich unglücklich gemacht haben, um Geld zu verdienen.


Chaudhry: Zum Beispiel?

Porter: Ich habe als Fenstermonteur gearbeitet. Das war harte körperliche Arbeit. Ich musste acht Stunden lang diese schweren Scheiben schleppen und habe mir immer wieder meine Hände zerschnitten. Noch schlimmer war aber meine Erfahrung in einer Hundefutter-Fabrik. Dort musste ich tote und halb tote Ratten in einen Trichter schaufeln, um sie mit Mais zusammenzumischen. Das konnte für Hunde einfach nicht gesund sein. Ich wurde gefeuert, weil ich zu langsam geschaufelt habe. (lacht) Ich bin sehr glücklich, dass ich heute meinen Platz gefunden habe, auf dem ich mein Talent anwenden kann.


Chaudhry: Sie gehören heute zu den erfolgreichsten Musikern des zeitgenössischen Jazz. Einige sehen Sie als Befreier des Jazz, andere als Verräter. Wie sehen Sie sich selbst?

Porter: Der Jazz ist für mich eine so persönliche Sache wie die Kleidung, die ich trage. Mein Gesangsstil und meine Wortwahl haben ihre Wurzeln im Jazz, ich weiß aber selbst ganz genau, wann ich Jazz mache – und wann ich mich von ihm entferne, um den Vater, den Cousin oder die Kinder des Jazz zu treffen. Wenn ich also Elemente aus Blues, Soul und Gospel nutze, dann bleibe ich in der Familie. Ich war noch nie ein Purist, aber selbst, wenn ich einer wäre: Der Jazz hat sich ja auch entwickelt. Richtig so, denn Stagnation tut keiner Sache gut. Jazz nur an einer Stelle zu verorten, wäre ihm nicht würdig. Wenn wir zum Beispiel heute über Herbie Hancock, Miles Davis, Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan sprechen, dann monumentalisieren wir gerne bestimmte Phasen ihrer musikalischen Entwicklung. Die Genannten waren aber allesamt Musiker, die zu jeder Zeit die Grenzen des Genres enorm ausgedehnt haben. Das Grundmotiv ändert sich jedoch nie, weder bei den großen Namen des Jazz noch bei mir.


Chaudhry: Wie würden Sie dieses Grundmotiv zusammenfassen?


Porter: Es geht um weise Kritik an den Verhältnissen, aber auch um Motivation und Aufmunterung angesichts der sozialen und ökonomischen Miseren, die uns Menschen plagen.


Chaudhry: Ihre größten Inspirationen sind Nina Simone und Nat King Cole, beides beeindruckende Künstler, die sich in der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung engagiert haben. Wo ist diese Art von Künstlern hin?

Porter: Sie existieren weiterhin! Chuck D, Talib Kweli, KRS One und Common fallen mir zunächst ein. Es gibt viele Künstler, die sich zum Rassismus und zur Benachteiligung der Afroamerikaner äußern. Eine andere Frage ist, ob sie die gewünschten Effekte erzielen.


Chaudhry: Was bremst ihre Wirkungen?

Porter: Ich befürchte, die Dynamiken der sozialen Medien erschweren es, dass sich bestimmte Leitfiguren entwickeln, die mit einer klaren Stimme sprechen. Denn sobald einige große Künstler das Wort ergreifen, werden sie durch andere Stimmen vernebelt.


Chaudhry: Was setzen Sie dem persönlich entgegen?

Porter: Was schon meine Mutter in mir gesät hat: den Optimismus der Liebe. An sie zu glauben und festzuhalten, sie gegen die Pessimisten zu verteidigen. Das verleiht meiner Musik neben einem künstlerischen auch einen sozialen Wert. Und ich hoffe, dass er einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

 


Zur Person
Gregory Porter (geboren am 4. November 1971 in Sacramento, Kalifornien) wuchs in Bakersfield und Brooklyn, New York, auf. Inspiriert von Stevie Wonder und Nat „King“ Cole begann er in seiner frühen Kindheit zu singen, zunächst im Gospelchor der Kirche, in der seine Mutter Pastorin war. Porter strebte eine Football-Karriere an, die er aber wegen einer Schulterverletzung beenden musste. 1992 starb seine Mutter an Krebs. Am Sterbebett hatte sie ihm geflüstert: „Sing, baby, sing!“ Daraufhin wandte sich Porter vollkommen der Musik zu. 2010 veröffentlichte er sein erstes Album „Water", das direkt für den Grammy nominiert wurde. Eine zweite Nominierung folgte 2012 für das zweite Album „Be Good“. Der internationale Durchbruch gelang ihm 2013 mit dem dritten Werk „Liquid Spirit“, das sich weltweit mehr als eine Million Mal verkauft hat und öfter gestreamt wurde als jedes andere Jazzalbum. Er lebt mit seiner Frau Victoria und dem Sohn Demyan in Bakersfield, Kalifornien.

Foto: © Ami Sioux

Erstveröffentlichung des Interviews: galore.de

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