Medienkritik

Eine Chance vertan

01.01.2023 - Tuba Ahmed-Butt

Von „Irritationen“ spricht „ZDFheute“, „die Welt“ betitelt es mit „unwürdiger Siegerehrung“ und „in gewisser Weise beschämend“ zitiert „der Tagesspiegel“. Bastian Schweinsteiger beschrieb die Aktion als „in meinen Augen nicht gelungen“ und Tabea Kemme war es „total unangenehm“, „Bauchschmerzen in diesem Moment“, sagt sie. Doch worum geht es hierbei eigentlich, fragt sich der Leser?

Was für Empörung in den deutschen Medien sorgt, ist die Szene, in der der Emir von Katar dem besten Fußballspieler der Welt, Lionel Messi, zu Ehren des Sieges von Argentinien einen Umhang um die Schultern legt. Die Entrüstung in der deutschen Berichterstattung gilt also der letztendlich im arabischen Kulturkreis höchsten Form der Ehrerbietung: Das Umlegen eines „Bisht“. Dieses formelle Gewand wird u.a. „von Königen“ und „Würdenträgern“ getragen, zu „offiziellen Anlässen“ und „Feierlichkeiten“ und wurde Messi als ein „Ehrenzeichen auferlegt“. Wie kann so eine großartige Geste so viel Empörung und Entrüstung auslösen? Und wie kann man einem erwachsenen, zurechnungsfähigen Mann zumuten, einen von deutschen Medien als „Zwang“ und als „Überraschung“ beschriebene Geste nicht als solche zu erkennen und sich dagegen zu wehren?

MBappé hat mit seinem Verhalten Macron gegenüber deutlich gezeigt, dass eine Wehr auf der großen Bühne sehr wohl möglich ist, in dem er weder Macrons Umarmung erwiderte noch Macron erlaubte, ihm die Silbermedaille um den Hals zu legen.

Wer die Berichterstattung rund um Katar verfolgt hat, weiß, dass schon die WM schon vor ihrem Beginn ein kontroverses und stark diskutiertes Thema war. Gefühlt jeder in Deutschland wollte ein Zeichen gegen Menschenrechtsverletzungen setzen und die WM in Katar boykottieren. Erstaunlich häufig war aber genau diese boykottierte WM immer wieder Gesprächsthema in der deutschen Medienlandschaft. Jedoch mit einem bitteren Beigeschmack.

Während der Boykott zu Beginn den Menschrechtsverletzungen galt, galt die negative Berichterstattung und Meinungsmache in den sozialen Medien nicht mehr diesem guten Zweck. Weder wurden Wege aufgezeigt, um die Menschenrechte zu etablieren, noch wurden Maßnahmen getroffen, um künftig solche Verletzungen zu verhindern, noch gab es Bewegung in der Verbesserung der ebenfalls häufig kritisierten Arbeitsbedingungen der katarischen Gastarbeiter:innen. Nein. Unverhohlen wurden anti-arabische Ressentiments geteilt und multipliziert. Berichtet wurde über arabische Gepflogenheiten in einer Art und Weise, die respektlos, demütigend und von Hochmut zeugend war. Anti-muslimische Ressentiments, Vorurteile und Orientalismus siegten, als der erhobene Zeigefinger als muslimisches Zeugnis für die Einheit Gottes zur „Geste des Islamischen Staates“ degradiert wurde, arabische Trachten als „Bademäntel“ bezeichnet wurden, und der Ausdruck der Liebe marokkanischer Spieler zu ihrer Mutter als Ausdruck des Patriarchats und „psychologisch kritisch“ diffamiert wurde.

Der Höhepunkt rassistischer Häme wurde nach dem Sieg Argentiniens erreicht. Dass die Ehrung Messis mit einem „Bisht“ weder als solche benannt, geschweige denn erkannt wird, zeugt, wie der Moderator von Magenta Sport TV richtig erkannte, nicht nur von fehlender „Sachkenntnis“, sondern auch von mangelnder Toleranz anderen Kulturkreisen gegenüber. Zusammen mit fehlender Recherche und dem Bemühen, sich vorher zu informieren, werden antimuslimische Ressentiments nicht nur reproduziert und bekräftigt, sondern in der Mehrheitsgesellschaft auch salonfähig gemacht. Das Ergebnis sind Ignoranz, Intoleranz und Inakzeptanz. Die Differenzierung in ein Wir und Ihr. Kein Miteinander, sondern ein Gegeneinander.

Stellen wir uns der Wahrheit: Messi, der den WM Sieg in Qatar 2022 feierte und einen arabischen Bisht trug, und Pelé, der den WM Sieg 1970 in Mexiko feierte und einen mexikanischen Sombrero trug, wenn das letzte Bild keine „Bauchschmerzen“ auslöst und nicht „irritierend“ ist, wieso ist ersteres es dann? Hand aufs Herz: können wir die Ursache hierfür womöglich in den tief in unseren Denkmustern und Herzen verwurzelten Ressentiments der arabischen Welt gegenüber suchen, die seit jeher immer wieder von unseren Medien hierzulande aufgegriffen und publiziert werden?

Wir haben eine Chance vertan. Statt den schöneren, schwierigeren Weg zu gehen und den interkulturellen Dialog zu fördern, haben wir den leichteren Weg gewählt: Mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, sich hinter der Maske des Weltverbesserers zu echauffieren und dabei andere Kulturen mit Schlamm zu bewerfen. Völkerverständigung? Fehlanzeige. Etablierung von Menschenrechten? Fehlanzeige. Schutz von Minderheiten? Fehlanzeige. Von gegenseitigem Respekt, Toleranz und Kampf gegen Rassismus sollten wir hier nicht mehr sprechen. Deutschland hat seine Chance vertan. Nicht die auf einen Weltmeistertitel. Sondern die eines Botschafters. Statt den Fokus auf Völkerverständigung zu legen und die positiven Werte und Normen vermittelnd den interkulturellen Dialog zum Wohle der Menschheit zu fördern, haben wir es geschafft, zu spalten.

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen