Der Joker als Sinnbild für nihilistische Radikalisierung
01.01.2022 -Die Rolle des Jokers in Todd Phillips Film dient wunderbar als Parabel, die uns vor Augen führt, welche realen Bedingungen und Umstände in unserer Gesellschaft vorherrschen, dass wir die Radikalisierung einer fiktiven Figur sogar im echten Leben fürchten.
Der jüngste Film bewegt viele, wie kein anderer Film dieses Genres, sich in die Notlage des Jokers einzufühlen und gleichzeitig seine Radikalisierung zum Terroristen zu fürchten. Der Film lässt einen fiktiven Bösewicht so real, menschlich wirken, dass der Joker vermutlich eine anziehende Macht besitzt, Zuschauer über den nihilistischen Weg in den Wahnsinn zu führen. Parallelen zum Joker sind bei der Radikalisierung von Menschen in liberalen Gesellschaften in Europa zu beobachten: Sorgen um die vielen Menschen, die sich in sog. Querdenker-Bewegungen zusammentun und sich zunehmend gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie radikalisieren, außerdem vor einer zunehmenden willkürlichen Gewaltbereitschaft rechtsradikaler Netzwerke und die Diskussionen über die vielen Jugendlichen, die sich dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen haben, betonen die Notwendigkeit dieses Phänomen zu erklären. Ich möchte hierbei nicht das Narrativ bedienen, dass nur Psychopathen zu Extremisten werden. Was mich beschäftigt ist die Gesellschaft, die solche Phänomene hervorbringt, und der Joker als Sinnbild für eine nihilistisch radikalisierte Persönlichkeit darin.
Dabei ziehe ich als Nahostwissenschaftler im Folgenden die Vergleiche zwischen der Radikalisierung des Jokers und Jugendlichen, die sich dem IS angeschlossen haben. Jedoch lassen sich viele der folgenden Annahmen ebenso auf andere Extremisten übertragen.
Die Anziehung
Radikalisierung ist nicht etwas, das jemandem angetan wird, sondern ein dynamischer Prozess, wodurch der eigenen Existenz in dieser Welt Sinn gegeben wird. Der Begriff Sinn beinhaltet auch Emotionen und die Wahrnehmung von sich und der (Um)Welt. Er beschreibt ein Gefühl, dass etwas mit uns passiert: Plötzlich erfreuen, schockieren, stören oder traumatisieren uns die Dinge, die um uns herum passieren. Diese Eigenschaft emotional zu beeinflussen oder beeinflusst zu werden, prägt unseren Alltag und macht Beziehungen, Gefühle, Möglichkeiten und Austausch erfahrbar z.B. in Form von Drang oder Anziehung, mit denen wir in soziale Beziehungen zueinander treten. Aus dieser Perspektive steht Radikalisierung nicht mehr für eine verwundbare isolierte Person, die allein Propagandavideos anschaut, sondern Radikalisierung meint dann eine Reihe von kognitiven Handlungen, wodurch Personen ihre soziale (Um)Welt konstruieren, die von zwischenmenschlichen Beziehungen und Gefühlen geprägt ist und Menschen sogar virtuellen oder physischen Organisationen näher bringt.
Der Joker ist ein treffendes Beispiel für die tatsächliche Gefahr der nihilistischen Radikalisierung von Individuen in liberalen Gesellschaften. Menschen, die auf den ersten Blick ohne erkennbare Netzwerke und Motivation handeln, konstruieren ihre eigene Ideologie. Dementsprechend glauben und empfinden sie in der Welt. All das kann dann in digitalen Netzwerken, wo weder verbindliche moralische noch rechtliche Regeln existieren, expandieren und weitere Anhänger anziehen. Ebendiese anziehende Kraft hat auch den fiktiven Terroristen und nihilistischen Joker verschlungen. Diese Dynamik beschreibt den Prozess der Radikalisierung. Nicht nur der Joker hat dann viele Anhänger und Nachahmer, sondern diese Faszination, die auch Wirkung in der realen Welt zeigt, hat die Macht, jeden Menschen anzuziehen. Sowohl nihilistische Fanatiker auf der Suche nach Helden, als auch deprimierend gewöhnliche Personen, die darin eine Ausrede finden, um ihren dunkelsten Trieben nachzugeben.
Besonders in jihadistischen Netzwerken im Darknet finden sich sogenannte “Fans” um europäische IS-Terroristen, die sich allesamt selber radikalisiert haben. Diese sozialen Netzwerke bestehen aus Individuen, die fasziniert sind von Gewalt und Horror und zeigen emotionale Cluster zwischen Ekel und Lust oder Ablehnung und Anziehung. Sie verbindet das visuelle Erfahren von Gewalt. Das direkte Anschauen unterscheidet sich nämlich vom Zusehen, denn es ist eine bewusst aktive Handlung und kann dem Narrativ Bedeutung geben. Diese Form des Anschauens von extremistischer Gewalt, die stets inszeniert ist, ist eine weit verbreitete Praxis im Radikalisierungsprozess von europäischen Jihadisten. Sicherlich auch deshalb war die Befürchtung der Sicherheitsbehörden und Politik vor den Joker-Filmvorführungen weltweit groß, weil Menschen, inspiriert durch Gewaltszenen im Film den Joker nachahmen könnten. Außerdem ist es nicht allzu lange her, dass der IS soziale Netzwerke mit hochauflösenden Propagandavideos in Hollywood-Manier geflutet hat, die gezielt Jugendliche in liberalen Gesellschaften inspirierten Terroranschläge zu begehen.
Die Inszenierung
Diese Art von Gewalt aus dem Kontext des Joker-Films herauszudeuten, ist deshalb so interessant, weil es uns verdeutlicht, dass die Akteure niemals einsam sind, obwohl sie allein handeln. Sie haben immer ein großes Publikum im Sinn, das es zu beeindrucken gilt. Obwohl der Joker als Außenseiter und Psychopath dargestellt wird, versteht er es sehr wohl, dass die heutige globalisierte und technologisierte Welt von Bildern und medialen Darstellungen beherrscht wird. Er ist durchaus ein Teil dieser globalisierten Welt. Die säkulare Weltordnung hat in hochtechnologisierten Gesellschaften schon seit langem die Idee einer Transzendenz durch die Vorstellung der digitalen Inkarnation und des Weiterlebens ersetzt. Dies erklärt, warum so viele Terroristen in liberalen Gesellschaften eine ganze Mediathek mit Foto- und Videoaufnahmen, Bekenntnissen und Manifesten hinterlassen, wie man oft aus polizeilichen Ermittlungen erfährt. Was die Sicherheitsbehörden aber oft bei den Erklärungsansätzen nicht erwähnen oder gar verstehen, ist, dass die Attentäter, ähnlich wie der Joker, die Regie ihres eigenen Films führen. Sie spielen die Hauptrolle, sie bestimmen, welches Bild und sogar welche Monologe die Nachwelt zu sehen und zu hören bekommt. Sie sind der Autor und der Hauptdarsteller ihrer brutalen Inszenierung.
Diese Art der Inszenierung ist eine Reaktion auf die moderne Gesellschaft ganz nach Arendtschem Verständnis, also die immerwährende Einsamkeit inmitten von Intimität, Rückzug in den privaten Raum und Verlust von Individualität. Daraus ergibt sich dann der emotionale Drang, mit Hilfe von visuellen Technologien gesehen zu werden, ein Image aufzubauen, das oft nicht der Wahrheit entspricht, aber Wirkung zeigt. Dieser nihilistische Ansatz erklärt auch, wie die inszenierte öffentliche Selbstdarstellung dem Joker das langersehnte Gefühl von Würde gibt, wenn er in der Schlussszene des Films inmitten von Gewalt und Chaos gleichzeitig gefürchtet und gefeiert wird. Dass er sich diese Anerkennung durch seine eigentlich angestrebte Karriere als Stand-Up Comedian gewünscht hat, aber diese ihm verwehrt bleibt, zeigt außerdem, wie nah beieinander Radikalisierung und Humor in Wirklichkeit liegen und prädestiniert den Joker, auch im wörtlichen Sinne, um Vergleiche zu radikalisierten IS-Terroristen zu ziehen. Davon ganz abgesehen, dass das Lachen oder Lächeln beide verbindet, argumentieren wir auch vielleicht deshalb häufig, dass es Psychopathen, wie der Joker, sein müssten, wenn sich junge IS-Terroristen lächelnd in die Luft jagen.
Die Kommunikation zwischen dem Joker und seinem Publikum ist unverkennbar geprägt von Humor, wenn auch nicht immer lustig. Auf diese Art von Humor stoßen wir auch immer wieder auf Internet-Profile vieler radikalisierter Personen. Lachen kann nämlich soziale Gemeinschaften bilden, wobei das gemeinsame Lachen Intimität und Sympathien schafft und das Auslachen Personen ausschließt. Das, was auf uns so grotesk und gar nicht lustig wirkt, soll uns eine Reaktion entlocken und eine vermeintliche Wahrheit über uns offenbaren. Was dann wiederum als Lacher oder Witz gegen die Gesellschaft inszeniert werden kann. Dieses Ritual dient als Mechanismus, womit Werte innerhalb einer konstruierten Gemeinschaft bestätigt und artikuliert werden. Außerdem gibt es denen, die sich über andere auf eine brutale Art lustig machen, das Gefühl der Macht und ihren Opfern das Gefühl der Ohnmacht.
Der Hinweis auf den Humor ist hier deshalb so wichtig, weil es in dem Kontext der Inszenierung den Zusammenhang zwischen Fühlen und Glauben verdeutlicht. Um etwas in einer bestimmten Weise zu fühlen, muss man erst in der Lage sein daran zu glauben. Auch die Vorwürfe oder die Anklage gegen die liberalen Gesellschaften, die von IS-Terroristen auf ihren Internet-Profilen vorgetragen wurden, waren geprägt von demselben Humor und Ekel des Jokers, die auf die Gesellschaft gerichtet waren, als er sich in dem Film bei seinem langersehnten Fernsehauftritt in einer Late Night Show inszeniert. Besonders bei IS-Terroristen, die sich in liberalen Gesellschaften radikalisiert haben, lässt sich online beobachten, dass ihnen lange vor ihrer Gewalttat allein das Auslachen und Schikanieren von anderen nicht mehr ausreichte. Es wirkt eben deshalb auch beim Joker so grotesk, weil er seinen Sympathisanten glauben machen will, dass die Opfer es verdient hätten zu leiden, was nur erreicht werden kann durch noch mehr Erniedrigung. Radikalisierte Jugendliche verstehen durchaus, dass die Vorwürfe an die liberale Gesellschaft überspitzt sind, das provoziert eben den Humor unter Gleichgesinnten. Jene, die diesen Humor teilen und darüber lachen, teilen das Gefühl, dass sie miteinander kommunizieren. Ein Gefühl, das erst möglich macht, daran zu glauben, dass der inszenierte Witz eine bestimmte Wahrheit enthielte.
Die Sehnsucht nach dem Tod
Sicherlich haben die vielen tatsächlichen Terroranschläge und Gewalttaten in der Vergangenheit maßgebend die fiktionalen Erzählungen von furchtlosen und moralisch verdorbenen Bösewichten, aber auch das Comic-Genre im Allgemeinen, befeuert. So zum Beispiel greift auch der Joker zivile Opfer in öffentlichen Verkehrsmitteln, staatlichen Institutionen und in öffentlichen Rundfunkanstalten an, um mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Ein Szenario welches an die Terroranschläge durch den IS u.a. in Madrid, London, Paris und Berlin erinnert. Ähnlich wie der Joker agierten auch die IS-Terroristen in Europa allein und rein aus ihrer persönlichen Überzeugung, weniger aus einer statischen politischen Organisation heraus.
Dieses Phänomen erklärt der französische Soziologe Olivier Roy so: Erst wenn ein Schüler bis an die Zähne bewaffnet in seine Schule marschiert, unschuldige Schüler und Lehrer tötet, danach sich selber erschießt, sei es ein Spektakel. Er wird vor seiner Tat geprobt, Fotos gemacht und hochgeladen haben oder vielleicht währenddessen seine Handlungen live ins Internet übertragen. Alles in der Absicht und glücklich darüber, endlich von allen (an)erkannt zu werden. Roy setzt diese Handlung in den Kontext des Nihilismus einer Generation, der die heutige Ordnung in liberalen Gesellschaften maßgeblich prägen würde. Somit sei die extreme Gewalt weniger ein Ausdruck von politischer oder religiöser Motivation.
Ein wichtiges Mittel des gewaltbereiten Jihadismus ist, dass jene, die ihn aktiv betreiben, ihren eigenen Tod als Höhepunkt ihres Gewaltaktes inszenieren. Auffallend viele islamistische Terroristen der letzten zwei Jahrzehnte in Europa, wurden entweder durch Sicherheitskräfte erschossen oder begangen Selbstmord. Für viele ist das mit dem Islam und dem darin verankerten Konzept des Märtyrers zu erklären. Diese Sehnsucht nach einem Märtyrertod ist jedoch grundlegend, um den gewaltbereiten Jihadismus im europäischen liberalen Kontext als nihilistischen Aufstand zu verstehen. Ein Märtyrer wurde im ursprünglichen religiösen Sinne immer von Gott auserwählt. Durch moderne terroristische Gewaltakte, genauer noch durch Menschen, die sich (z.B. im Internet) selber radikalisieren und ihre Tat allein vorbereiten, wurde das Märtyrertum praktisch “demokratisiert” – jeder Terrorist kann nun Märtyrer sein. Somit steht nicht mehr Gott oder der Glaube im Mittelpunkt, sondern der Märtyrer selbst.
Was radikalisierte Jugendliche in liberalen und freiheitlichen Gesellschaften somit fasziniert, ist der Aufstand und nicht das Erreichen einer Utopie, also Gewalt ohne Zukunft. Das Ende selbst. Es ist eine bewusste Entscheidung. Das ist auch die Essenz des Jokers, der den Tod, seinen und den der anderen, als einzigen Weg sieht, um ein selbsterhaltendes Image, in einer postmodernen Welt mit zunehmend digitalisierten Identitäten, von sich zu konstruieren. Sinnbildlich lacht der Joker so dem Tod ins Gesicht.
Der Nihilismus
Extremismus zielt darauf ab, den sozialen Status quo zu stören. Deshalb wird oft das Destruktive regelmäßig als „Verrücktheit“ einiger weniger Menschen begriffen, die in unserer Gesellschaft untergegangen seien. Dieser Ansatz erklärt aber nicht die Vorliebe der Terroristen, sich ihre Welt zu konstruieren oder sich inszeniert an ein breites Publikum zu wenden.
Dies soll hier in Ansätzen mit Nietzsches Idee vom Nihilismus erklärt und Radikalisierung im Kontext einer postmodernen liberalen Gesellschaft verstanden werden:
Radikalisierung kann als der Zustand verstanden werden, in dem sich der „aktive Nihilismus“ offenbart, weil das eigene Leben konstruiert und so mit einem höheren Sinn erfüllt wird. Die Sinnesleere, ein typisches Argument des Nihilismus, wird durch eigenes Handeln in Kontrolle übersetzt. Man steigt als Gottheit empor und nimmt den Platz des Schöpfers ein.
Extremisten, wie der Joker, beklagen stets den moralischen Zustand der Gesellschaft und den der Menschen darin. Ihre eigene Sinnesleere wird zu ihrer Nachricht, die sie uns immer wieder aufdrängen wollen: Das Leben sei nur ein schlechter Witz. Das Nihilistische an dieser Nachricht zeigt sich dann in ihrem Handeln, wenn sie sich z.B. lächelnd in den Tod stürzen. Sie machen sich selbst zur Pointe und indem sie diesen „schlechten Witz“ vorführen, hoffen sie andere mit ihrer individualistischen „bösen Botschaft“ (Antithese zur göttlichen „frohen Botschaft") anzustecken.
Sowohl der Joker als auch europäische IS-Terroristen, begreifen sich und ihre Taten dann nicht als ein Risiko, sondern sehen sich als Heilsbringer, Erlöser und Wahrsager. Erst durch die nahbare Comic-Figur Joker, die uns in Todd Philipps Film so menschlich gezeigt wird, erkennt man erst, dass sein Handeln keine Verrücktheit per se ist, sondern der verzweifelte Versuch, uns die Augen zu öffnen, spüren zu lassen, wie er die Welt sieht und darin empfindet, als einen „bad joke“. Der Joker, ähnlich wie Nietzsches „verrückter Mensch“, der „Gottes Tod“ diagnostiziert, ist somit der Überbringer (s)einer brutalen Wahrheit. Die Verrücktheit besteht für ihn somit nicht in seinem eigenen Wahnsinn, sondern in der unwilligen „normalen“ Bevölkerung, die ihn und seine Botschaft nicht versteht.
Der Ausspruch Nietzsches vom verrückten Menschen: „Gott ist tot“, provoziert deshalb Gelächter, weil das allgemeine Verständnis von Gott nicht mit der Idee eines sterblichen Gottes übereinstimmt. Die allgemeingültige Wahrheit wird als so selbstverständlich gesehen, dass die Möglichkeit seiner Nichtexistenz von der Allgemeinheit als komisch empfunden wird. Aus wahrscheinlich selbigen Gründen versteht und benennt sich die Figur in der Hauptrolle des Films, Arthur Fleck, fortan als „Joker“.
Was europäische IS-Terroristen und der Joker mit Nietzsches verrückten Menschen außerdem gemeinsam haben, ist die Annahme, dass die soziale Ordnung wie ein Schleier wirke und die grundlegende Wahrheit einer aus den Fugen geratenen Welt verheimliche. Sie sprechen dann von einem „System“, dem sich alle anderen unkritisch untergeben würden, das bestimmen würde, was richtig und was falsch sei. Auch Nietzsche betont, dass die Entscheidung, etwas als gut oder böse zu sehen, nicht an der innewohnenden Eigenschaft der Sache gemessen, sondern durch die Herrschenden den willensschwachen Massen als selbstverständliches Faktum diktiert würde. Genauer noch, Humor, Kunst, Moral usw. seien dann erst gut, wenn es den Mächtigen schmeckt. Diese äußere Autorität, sei es Gott oder eine andere Macht, die wir über uns herrschen lassen, infrage zu stellen, ist für Nietzsche der Versuch einzelner Menschen, ihren Sinn zu verkünden, sich von moralischer Verantwortung zu befreien, die uns von der Gesellschaft auferlegt werde. Im nihilistischen Sinne könnte dann die Radikalisierung des Jokers und der europäischen IS-Terroristen als Verantwortungsübernahme für sich und andere interpretiert werden.
Die Geschichten um den Joker in dem hier dargestellten Sinne behandeln unverkennbar die Züge einer modernen pluralistischen Gesellschaft. In einer solchen Gesellschaft kann jedes legale Wertesystem toleriert und gelebt werden. Die Zustimmung zu oder das Ausleben einer bestimmten Lebensweise basiert hier auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Es ist keine dualistische Welt, wo es nur ein richtig und falsch gibt. Dieser pluralistische Zustand schafft automatisch eine Marktlage. Und um nun für ein bestimmtes Ideal auf dem freien Markt zu werben, muss auf die Freiwilligkeit der Konsumenten gesetzt werden. Genau dies kann aber zu dem Dilemma führen, das sich in der Figur des Jokers widerspiegelt, dass Personen mit ihrem Verständnis von Gut oder Böse es sich auswählen können, ob sie die angebotenen Werte anderen abkaufen.
Doch wo lässt es einen Menschen zwischen diesem Überangebot von Werten und Moralvorstellungen? Zumindest sog. „verrückte“ Menschen finden wir dann irgendwo zwischen resignierter Langeweile, und im schlimmsten Fall beim Akt der gewaltbereiten Flucht.
Friedrich Nietzsche und Olivier Roy beschreiben somit einen Menschen, der sich radikalisiert als jemand, der anderen kein Ideal anbietet, stattdessen jedoch die Selbstzerstörung.
Mohammad Saboor Nadeem (geb. 1990 in Hamburg) ist Islam- und Nahostwissenschaftler (M.A.). Während seines Studiums in Hamburg und Odense (DK) ging er für weitere Studienaufenthalte in den Nahen Osten nach Amman und Haifa. Nadeem hat u.a. für das Deutsche Rote Kreuz und die Landeszentrale für politische Bildung gearbeitet und ist außerdem Dozent an der Universität Hamburg.