Russland

Der Fall Skripal

15.03.2018 - Goran Vidovic

Schön wäre es, wenn sich die Bundesregierung auch genauso vehement hinter eigene Bürger stellen würde wie hinter eine Scheindebatte. Am 4. März 2018 wurden im englischen Salisbury der ehemalige sowjetische Doppelagent Sergej Viktorovič Skripal' und seine Tochter Julija Skripal' vergiftet aufgefunden. Zu den Hintergründen lässt sich nach derzeitigem Ermittlungsstand sehr wenig sagen. Erst recht sollte mit Anschuldigungen sparsam umgegangen werden.

 

Für die britische Premierministerin Theresa May war die Sache glasklar: es handelte sich um einen versuchten Auftragsmord durch die russische Regierung. Die Folge war die Ausweisung 23 russischer Diplomaten aus Großbritannien, da sich Moskau weder zu den nicht vollständig abgeschlossenen Ermittlungen, noch zu den britischen Anschuldigungen, dass die russische Regierung die öffentliche Sicherheit Großbritanniens gefährde, äußern wollte.

Im Bundestag wurde sogar ein Bündnisfall der NATO in Betracht gezogen. Aber zumindest wolle man die ohnehin schwierigen diplomatischen Beziehungen zur Russischen Föderation überdenken und womöglich dem britischen Beispiel folgen.

Schauen wir uns mal die Ausgangslage an: der Mordversuch an Herrn Skripal' und seiner Tochter ist das Ergebnis eines einzelnen Todeskommandos, deren tatsächliche Quelle wir nicht kennen. Es ist bekannt, dass es sich um einen ehemaligen Doppelagenten handelte,  was die Zahl möglicher Mordmotive erheblich steigert: Auftrag der russischen Regierung, Operation des russischen Geheimdienstes FSA, Operation eines westlichen Geheimdienstes oder womöglich ein Mordanschlag seitens mafiöser Strukturen, in die Herr Skripal' verwickelt gewesen sein könnte. Immerhin gelang es dem Mann Jahrzehnte lang mehrere Geheimdienste auszuspielen, warum sollte es nicht auch Verwicklungen in kriminelle Kreise gegeben haben? Es ist schlichtweg unklar.

Wie viele Menschen haben sich in Serbien 1999 dieselbe Frage gestellt, als NATO-Flieger drei Monate lang ohne UN-Mandat über das Land gejagt sind: Sind die Mitgliedsstaaten des NATO-Paktes eine Gefahr für unsere öffentliche Sicherheit? Hätten wir so viele orientierungslose teils traumatisierte teils verbitterte Flüchtlinge aus Afghanistan, gäbe es nicht den völkerrechtlich illegalen Einsatz der USA 2001 in Begleitung deutscher Hörigkeit? Wieder gab es kein UN-Mandat, genauso wenig wie im Irak-Einsatz 2003, auf den das bis heute andauernde Blutbad zurück zu führen ist, auch ohne Saddams Massenvernichtungswaffen. Diese Kriege waren illegal, gefährden bis heute die öffentliche Sicherheit jener Staaten und sind auf Handlungen eines militärisch-industriellen Komplexes zurück zu führen, dem leider auch die Bundesrepublik bereits angehört.

Aber der Fall Skripal' ist für die Bundesregierung natürlich skandalös. Das muss ja Konsequenzen für die diplomatischen Beziehungen haben. Solche Entschlossenheit wünschen sich nach wie vor die 5 rechtlich unschuldig inhaftierten deutschen Journalisten in der Türkei. Bedenkt man, dass es sich in erster Linie um Bundesbürger handelt, muss man sich die Frage stellen wieso hier die diplomatischen Beziehungen mit Erdoğans Türkei noch nicht einmal hinterfragt werden. Erdoğans Regierung zumindest macht es vor: in der Zeit vom 9. bis 11. März wurden deutschlandweit mindestens sechs Anschläge auf Einrichtungen, die mit Menschen türkischer Herkunft in Zusammenhang stehen, ausgeübt; den mutmaßlichen Tatverdächtigen wird die Nähe zur kurdischen PKK-Partei und der ebenfalls kurdischen YPG-Miliz nachgesagt. Die türkische Regierung zitierte unverzüglich die deutschen diplomatischen Vertreter zum Rapport; man bedenke, dass bei einem Teil der Opfer auch noch die Rede von Bundesbürgern und noch nicht einmal Vertretern offizieller staatlicher türkischer Stellen ist. Aber schließlich ist ein Flüchtlingsdeal wichtiger als eine Hand voll Pressefreiheit.

Der Fall Skripal' ist vergleichsweise ein tragischer Vorfall und sicherlich ein Schicksalsschlag für die betroffenen Angehörigen. Aber ob ein Anlass zu erkennen ist, politische Verantwortung vorzuspielen und ein diplomatisches Säbelrasseln zu beginnen bleibt jedem selbst überlassen.

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