Auf der Suche nach der verlorenen Welt
01.06.2023 -Ein poetischer Blick eröffnet die Kostbarkeit unserer Existenz und lässt uns das tägliche Wunder unserer individuellen Lebendigkeit erfahren. Mit der Spürkraft der Poesie können wir unser eigenes Dasein sinnlich durchdringen und aus dem Herzen heraus einen erfüllenden Ausdruck dafür finden – nicht als naive Weltflucht, sondern als wache klare Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Diese Poetische Lebenskunst entfesselt die Lust und die Freude, am gemeinsamen Sein persönlich und authentisch mitzuwirken. Im Folgenden ein Buchauszug aus "Auf der Suche nach der verlorenen Welt – Eine Reise zur poetischen Dimension unseres Lebens".
Die Frage nach dem richtigen Leben ist eine Grundfrage des Menschen. In der Philosophie sind als Basiswerte das Wahre, Schöne und Gute formuliert. LEBENSKUNST ist auch die Frage: Was ist für mich ein wahres, ein gutes, ein schönes Leben? Die konkrete Frage danach ergründet, ob ich in meinem Leben wirklich der in mir anwesenden Gestalt Raum gebe, ob sich der in mir liegende Same vollends entfalten kann. So, dass er diesem »Inbild« entspricht, wie es Karlfried Graf Dürkheim nennt. Also das Bild des Menschen, der ich werden kann, das in mir vorgebildet liegt und im Lauf des Lebens ausgebildet werden will. Bin ich darin entschlossen und ehrlich? Oder lasse ich mich von Ängsten, Gewohnheiten und Konventionen zurückhalten? Lebe ich mein Leben? Mein ehrliches Leben? Ein wahres Leben fragt auch danach, ob ich aufrecht für das einstehe, was ich als wahr erkannt habe. Oder mache ich Kompromisse? Bin ich in diesem Sinne authentisch, dass die Werte, die ich in mir als wesentlich erfahre, auch in der Welt und in meinen Beziehungen vertrete?
Zur Ehrlichkeit mit sich selbst gehört auch die Konfrontation mit dem Schatten – all den inneren Impulsen, Überzeugungen und Mustern, denen ich mir nicht bewusst bin. Die Dichtung war immer auch ein Raum, in dem Menschen den Gang ins Dunkle wagten und in die verborgenen Winkel ihres Wesens vordrangen, um sie durch den Ausdruck in der Sprache gewissermaßen ins Licht des Bewusstseins zu bringen. Für mich war vor allem der französische Dichter Charles Baudelaire mit seinen Gedichten aus DIE BLUMEN DES BÖSEN solch ein Erheller des Dunklen. In seinen Gedichten lotet er die Abgründe der Seele unerschrocken aus, bringt sie damit aber auch ins Licht der Dichtung, der Sprache und damit ins Bewusstsein. Denn das Problem an Impulsen wie Ärger, Wut, Hass, Verzweiflung, Minderwertigkeits- oder Schuldgefühlen, Gier, Selbstsucht, Neid oder Eifersucht ist nicht, dass sie da sind, sondern dass wir oft so tun, als wären sie nicht da. Wir merken nicht einmal, dass sie uns von innen her lenken. »Man wird nicht erleuchtet, wenn man sich Lichtgestalten vorstellt«, sagt der Tiefenpsychologe C. G. Jung, »sondern indem man sich die Dunkelheit bewusstmacht.« Aufbauend auf Jung formulierte Erich Neumann eine Ethik der Schattenintegration. Damit vermeiden wir durch den Prozess der Bewusstwerdung, dass wir das »Böse« in uns – wie blind – auf andere projizieren und so im Außen bekämpfen. Wir erkennen es in uns selbst und übernehmen Verantwortung dafür. Da wir immer auch mit unserem Kollektiv verbunden sind, hat eine solche Verantwortungsübernahme auch gesellschaftliche Bedeutung, wie Neumann ausführt: »Der Einzelne nimmt einen Teil der Last des Kollektivs in die eigene Verantwortung mit hinein und entgiftet und integriert in seiner inneren Verwandlungsarbeit dies Böse.«
Für Neumann hängt die Ethik der Schattenintegration eng mit der Frage nach dem guten Leben zusammen. Ein gutes Leben fragt danach, ob wir durch das Kunstwerk unseres Lebens die Werte, die wir für wesentlich halten, befördern. Dient die Art, wie wir leben, dem Leben? Füge ich dem, was ist, etwas Konstruktives hinzu? Werden andere Menschen dadurch in ihrer Entfaltung unterstützt? Trägst du etwas Lebensdienliches zum Ganzen bei? Wirkst du mit an der Vision eines bewussten Lebensstils, in dem Verbundenheit – eine Wertschätzung für Schöpfung und Mensch – zum Ausdruck kommt? Diese Frage nach dem guten Leben ist natürlich davon abhängig, was wir als gut empfinden. Und das kann sich ändern.