Standards für Sexualaufklärung

Wenn Drag Queens sich als Geschichten-Erzähler für Vierjährige in Szene setzen

01.06.2023 - Dr. Albert Wunsch

Dass es beim Lesen von Texten um mehr als deren akustische Übertragung geht, wird auch recht deutlich im Roman „Der Vorleser“ des deutschen Schriftstellers Bernhard Schlick zum Ausdruck gebracht. Schließlich sollen nicht Wortgebilde transferiert, sondern Stimmungen, Gefühle, Wertvorstellungen oder/und Verhaltens-Impulse beim Gegenüber inszeniert werden. Das berücksichtigen in großer Verantwortung Eltern, Großeltern und andere wichtige Bezugspersonen im Umgang mit Kindern.

Diese Wirk-Zusammenhänge wollen jetzt sicher auch jene Akteure nutzen, welche sich nun auf dem Hintergrund ihrer recht speziellen sexuellen Selbst-Positionierung gezielt an kleine Kinder wenden. Denn diese sind ein besonders leicht zu beeinflussendes Publikum. Würde man den Protagonisten aus der LGBTIQ-Szene vorschlagen, ihren Vorlese-Eifer in Altenheimen oder Hospizen anzubieten, wäre die Begeisterung für ein solches Projekt auf beiden Seiten eher gering oder würde gar auf eine klare Ablehnung hinauslaufen können. So lautet das Motte der Akteure: Raus aus Nachtclubs, Varietés und verruchten Szenen-Bars, rein ins pralle Alltagleben von Kleinkindern, auch wenn es nicht zu deren Wohlergehen beiträgt.

Es geht um die Lufthoheit über den Kinderköpfen

So fand vor einigen Wochen die erste Kinderbuch-Lesung einer Drag Queen in der Türkis Rosa Lila Villa in Wien statt. Die Örtlichkeit lässt aufhorchen, denn es handelte sich um das größte soziale Zentrum der Wiener LGBTIQ-Szene. Ziel ist es, da Kinder „vor allem neugierig und auch vorurteilsfrei sind“, diesen einen Blickwickel für quere sexuelle Verhaltens-Dispositionen zu vermitteln. Diese als Früh-Sexualisierung einzustufende Absicht löste deutliche Kritik aus.

Nun hat diese Idee – ob in der Dunkelheit der Nacht oder am hellen Tag – die Grenze nach Bayern übersprungen. So hat nun die Münchener Stadtbibliothek in einer als "Bilderbuch-Kino" und "Lesung für die ganze Familie" angekündigten Veranstaltung ebenfalls kleinen Kindern durch einige Drag Queens spezielle Geschichten nahe bringen wollen. Die Lesung stand unter dem Motto "Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt" und fand in Bogenhausen statt. Sie richtete sich an Kinder ab vier Jahren. Die Frage, ob die Inhalte wirklich für Kinder geeignet sind, wurde nicht berücksichtigt. Wieder gibt es Befürworter und harsche Kritik. Das nächste Ziel ist, solche Aktionen auf breite Weise in Kindergärten hineinzutragen.

Die Münchener Abendzeitung titelte dazu am 5.5.2023: "Rote Linie überschritten". Sie verdeutlichte: „Eine von der Münchner Stadtbibliothek geplante Lese-Veranstaltung für Kids ab vier Jahren zum Themenfeld Trans-Sexualität stößt bei der CSU und OB Dieter Reiter (SPD) auf heftigen Widerstand und entfacht eine Diskussion darüber, inwieweit die Zielgruppe richtig gewählt ist. Einige Tage später distanzierte sich der Münchener OB von seiner ablehnenden Position. Grüne und Linke verteidigen die Lesung der Drag Queens. Es sollen doch nur etwas andere Geschichten kindgerecht vorgetragen werden. Wie nun die Veranstalter dazu kommen, dass Auftritte von halb nackten Männer bzw. Menschen in schrill sexualisiertem Outfit kindgerecht seien, wurde nicht erläutert. Auch die Ankündigung von Drag King „Eric Big Clit“ (dt. „Eric Große Klitoris“) scheint aus Sicht der Veranstalter mit dem Denk- und Sprach-Verständnis von Kleinkindern problemlos kompatibel zu sein. Und bei den Texten geht es schließlich auch nicht um Passagen aus dem deutschen Märchenschatz. Die Debatte spaltet die Münchner Politikszene.

Da Kinder alles aufsaugen, sind adäquate Filter notwendig

Diese Diskussion wirft jenseits eines politischen Schlagabtauschs die wichtige Frage auf, ob Drag Queen Lesungen förderlich oder gar schädlich für kleine Kinder sind. Daher sollte bei Bild- und Sprach-Mitteilungen an Kinder vorher überprüft werden, ob Darzubietendes und Erzählende für eine solche Zielgruppe wirklich geeignet sind. Fehlt dieser Prüfschritt, wird mancher sich an die Geschichte vom Rattenfänger von Hameln erinnern. Daher muss der Maßstab allen Agierens das Kindeswohl sein.

Kinder sind wie Schwämme, welche fast alles ungefiltert aufsaugen. Sie besitzen beispielsweise noch nicht die Fähigkeit, zwischen Muttemilch, weiß gefärbter Flüssigkeit oder Pfützenwasser, essbaren oder giftigen Beeren bzw. Förderlichem und Nachteiligem zu unterscheiden. Daher ist viel Sorgfalt angesagt, um Kinder nicht zu überfordern. So haben in erster Linie Eltern und weitere vertraute Bezugspersonen die notwendige Einschätzung, was wann wie möglich ist oder auch nicht, um Kinder mit viel Feingefühl und in großer Verantwortung situationsadäquat auf das weitere Leben vorzubereiten. Mit solchen Voraussetzungen ausgestattete Eltern bringen ihren Kindern beispielsweise in einem ersten Schritt die Grundfarben und nicht zig Zwischentöne nahe. In späteren Alterstufen sind dann – meist in der Schule – die verschiedenen Nuancen von Hell-Gelb bis zu Dunkel-Orange oder die Abgrenzung von Rosa, Pink und Hell-Rot in den Blick zu nehmen. Ein solcher Filter-Blick ist erst recht bei sehr ausdifferenzierten – mehr oder weniger förderlichen – sexuellen Neigungen bzw. Verhaltensweisen notwendig.

„Schenke den Bedürftigen mehr Hirn, aber bitte schnell!“

Ex-Familienministerin Kristina Schröder (45, drei Töchter) ist alarmiert und äußert im BILD-Interview: „Nichts gegen Drag-Queens – als Belustigung für Erwachsene. Aber sie spielen nicht nur mit Geschlechtsidentitäten, sondern auch mit Erotik und Sexualität.“ Schröders drastische Warnung: „Ich muss an die 80er-Jahre denken, als es Versuche gab, Pädophilie zu verharmlosen, das Tabu als verklemmt darzustellen. Ein grauenvoller Irrweg!“ Und wieder tragen Erwachsene ein keinesfalls als repräsentativ oder förderlich anzusehendes Verständnis von Sexualität an Kinder heran. Wie wirr und irrational die Pro-Argumente für die Drag-Lesungen sind, wird exemplarisch am Umgang der Grünen mit dem Song Layla deutlich. Wegen der Textzeile „meine Puffmama heißt Layla. Sie ist schöner, jünger, ­geiler,“ wollten die Grünen den Song verbieten lassen. Das Argument: Da würde eine sexistisch bis rassistisch zu bewertende Einstellung verherrlicht. Ja, solche von Erwachsenen in Festzelten gegrölten Reime passen kaum ins Land der Dichter und Denker. Auch sind sie nicht für Kinderohren geeignet. Aber wer dagegen ist, das Künstler „Eric Große Klitoris“ vierjährigen Kindern in einer städtischen Einrichtung aus einem Transsexuellen-Buch vorliest, ist laut Münchner Grünen „rechtsextrem“, bzw. „rechtspopulistisch“, so der Kommentar des Münchener Bild-Chef Daniel Cremer. Da seufzt selbst der meist eher teilnahmslos vor sich hin arbeitende PC voller Kummer: „Schenke den Bedürftigen mehr Hirn, aber bitte schnell!“

Wenn Vielfalt selektiert wird, ist das Ergebnis rudimentär

Wie schwierig der Umgang mit dem Thema sexueller bzw. geschlechtlicher Vielfalt ist, wird auch an der Selbstdefinition der LSBTI-Szene (mit oder ohne Sternchen) deutlich, da diese den gravierenden Mangel hat, die prozentual größte Personengruppe der heterosexuell orientierten Menschen in der Regel gezielt auszuklammern. Ergänzend ist zwischen einer sexuellen Orientierung und der nach außen getragenen Umgangsform deutlich zu unterscheiden. So ist die Drag Queen-Szene eine – oft künstlerische – exzessive Form, die eigene Sexualität zu leben bzw. gezielt zur Schau zu stellen. Wenn diese dann z. B. nicht die erwünschte oder gar eingeforderte öffentliche Akzeptanz findet, wird damit keinesfalls automatisch die zugrunde liegende sexuelle Disposition abgelehnt. So werden die oft drastischen Selbstinszenierungen bei Christopher-Street-Day-Umzügen von vielen Menschen als unwürdig und obszön bewertet, ohne damit die sexuelle Orientierung der Akteure zu diskreditieren.

Die klare Unterscheidung zwischen einer verstehbaren oder gar wichtig anzusehenden Handlungsintention und deren Umsetzungsart wir sehr konkret bei den – oft auch strafrechtlich relevanten – Nötigungen von meist jungen Menschen im Rahmen ihrer Straßenblockaden für mehr Klimaschutz zum Ausdruck gebracht. Auf den Punkt gebracht heißt es dann: Zielsetzung nachvollziehbar, Art der Umsetzung auf keinen Fall hinnehmbar. Dabei wird auch offenkundig: Je provokativer Aktionen inszeniert werden, je umfangreicher setzt die Abwehr ein.     

Diese Differenziertheit fehlt meist im Umgang mit Reaktionen auf inszenierte LSBTI-Aktionen oder – wie hier – auf ‚esungen für Kinder durch Drag Queens. Und wenn dann die Protagonisten solcher Aktionen mit ablehnenden Reaktionen bzw. dem Werte-Empfinden anderer nicht angemessen umgehen können, wird mal schnell die Steinzeit-Keule geschwungen und den Kritikern rechts-radikales oder erzkonservatives Denken unterstellt.

Die Kernaussagen der rosa-grün-pink-türkis-lila mental-pigmentierten Botschaft

Welche Botschaften durch die rosa-grün-pink-türkis-lila mental-pigmentierten Drag-Queens und vergleichbare Akteure an die Kinder gerichtet werden, wird auch im Rückgriff auf die schon im Okt. 2011 veröffentlichen WHO-Standards für Sexualaufklärung in Europa deutlich. Danach haben beispielsweise die 0–4 Jährigen ein Auskunftsrecht zu „Vergnügen und Lust beim Berühren des eigen Körpers, frühkindliche Masturbation“. Und wenn die WHO-Richtlinien für unter Vierjährige ein „Recht auf Nacktheit“ propagieren, wird damit sicher nicht der abendliche Duschvorgang im Badezimmer gemeint sein. Wem gegenüber diese Rechte eingefordert werden können und welche spezielle Qualifikation die ‚Unterweisenden’ im Sinne des Kindeswohles haben müssen, bleibt offen.

Auch wenn diese WHO-Vorgaben in den meisten europäischen Ländern – so auch in Deutschland – sehr zeitnah in die schulischen und außerschulischen Lehr- und Bildungspläne übernommen wurden, lösten sie erst seit einigen Wochen Schlagzeilen in britischen und australischen Medien aus, weil sie innerhalb einer großen Debatte über die Gefahren übergriffiger Sexualpädagogik ins Blickfeld gerückt wurden. So riefen nach einem kritischen Bericht im „The Daily Telegraph“ fast 50 Unterhaus-Abgeordnete den Premierminister Rishi Sunak dazu auf, die gängige schulische Sexualaufklärung auf den Prüfstand zu stellen. Auch in Deutschland wäre es höchste Zeit, diese WHO-Standards aus den Lehr- und Bildungsplänen zu streichen bzw. grundlegend zu überarbeiten, zumal diese vom Sexualpädagogen Uwe Sielert mit vorbereitet wurden, der sich wiederum auf den – mit pädo-kriminellen Pflegevätern kooperierenden – Helmut Kentler stützt. Wenn also demnächst in der Öffentlichkeit ein Kleinkind recht konzentriert eine spezielle Zone zwischen den Beinen befingert oder sich spontan der Kleidung entledigt, dann drückt es damit aus, ein ‚modernes Sexualpädagogik-Verständnis im Sinne der WHO-Richtlinien zu leben und just an diesem Ort ganz unbekümmert Vergnügen und Lust sucht. In den Richtlinien waren übrigens keine Hinweise zu finden, ab welchem Alter oder in welchen Situationen zwischen Schulunterricht, Ausbildungsbetrieb, Hörsaal, Restaurantbesuch oder Bewerbungsgesprächen diese autoerotisch-lustvollen Selbsterkundungen vielleicht doch eher unpassend wären.

Wer Toleranz einfordert, ohne sie zu erbringen, entlarvt sich als Despot

Wollen also Menschen mit einer ganz speziellen Art im Umgang mit ihrer Sexualität bei anderen Menschen um Toleranz für Verhalten werben, setzt dies ein Tolerieren einer evtl. stark begrenzten Bereitschaft des Gegenübers voraus, damit umgehen zu wollen bzw. zu können. Fehlt diese selbstkritische Voraussetzung, geraten vorgebliche Erzählstunden schnell zu einer Indoktrinations-Veranstaltung für kleine Kinder. Innerhalb meiner Kontakte zur queren bzw. LSBTI-Szene habe ich erfahren, dass verantwortungsbewusste Menschen andere Personen keinesfalls im Sinne ihres eigenen Sexualverhaltens oder Lebenskonzeptes subversiv bzw. manipulativ beeinflussen wollen, erst recht keine Kinder.

Ob Mehrheiten oder Minderheiten, eine Gesellschaft kann nur dann gut funktionieren, wenn alle in Würde und Achtsamkeit auf Andersartigkeit und Fremdheit reagieren. Wer jedoch Toleranz von anderen fordert, ohne nicht wenigsten genau soviel Toleranz möglichen Kritikern gegenüber einbringt, sollte besser schweigen und schnell einen Grundkurs zum Erlernen eines durch Verantwortung, Empathie und Wertschätzung geprägten demokratischen Umgangs buchen.

 

 

Dr. Albert Wunsch, promovierter Erziehungswissenschaftler und Psychologe, tätig als Supervisor (DGSv), Konflikt-Coach, Mediator, Paar-, Familien- und Erziehungsberater (DGSF), lehrt seit über 10 Jahren an der Hochschule für Oeconomie und Management (FOM) in Neuss und Düsseldorf. Vorher leitete er ca. 25 Jahr das Katholische Jugendamt in Neuss und lehrte anschließend für 8 Jahr hauptamtlich an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen (KatHo) in Köln. Daneben hatte er über 30 Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni sowie der FH Düsseldorf und ist Autor zahlreicher Bücher, darunter: Die Verwöhnungsfalle, Abschied von der Spaßpädagogik, Mit mehr Selbst zum stabilen ICH! Resilienz als Basis der Persönlichkeitsentwicklung oder Boxenstopp für Paare. Diese und weitere Publikationen sowie seine Fachvorträge lösten ein starkes Medienecho aus. Er ist Vater von zwei Söhnen und Großvater von drei Enkeltöchtern.

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