CSU-Politiker im Interview

Norbert Geis: "Man kann nicht ungleiches gleich machen"

01.02.2014 - Tahir Chaudhry

Nach 26 Jahren hat Norbert Geis den Bundestag verlassen. Für linksorientierte Politiker war der CSU-Rechtsexperte die Provokation in Person. Mit seinen Thesen, etwa über Homosexualität, stand er dem Zeitgeist oftmals diametral entgegen. DAS MILIEU sprach mit Norbert Geis über Coming-Outs, die Homo-Ehe und das Adoptionsrecht für Homosexuelle.

Die einen sehen eine Förderung der sexuellen Vielfalt als gesellschaftlichen Fortschritt an, andere als einen kollektiven Fehltritt. Auch die Wissenschaft liefert keine eindeutigen Erkenntnisse. Einerseits spricht sie von einer genetischen oder hormonellen Vorbestimmung, andererseits auch von unzähligen sozialen Faktoren, die Einfluss auf die sexuelle Orientierung eines Menschen haben könnten. Unberührt von dieser Debatte fordern Lesben- und Schwulenverbände eine absolute Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften und das volle Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. 

 

DAS MILIEU: Unser ehemaliger Außenminister, Guido Westerwelle, hat auf das überraschende Coming-Out des Fußballspielers Thomas Hitzelsperger reagiert und die Kanzlerin aufgefordert, die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften voranzutreiben. Seine Vision schilderte er in folgenden Worten: „Bevor ich den Löffel abgebe, ist Schwulsein eine Selbstverständlichkeit“. Was halten Sie von dieser Vision?

 

Geis: Schwul sein wird immer eine Ausnahme bleiben. Eine Selbstverständlichkeit aber sollte es sein, da ein solches Verhalten zum intimsten Bereich des Menschen gehört, dass niemand das Recht hat, diesen intimsten Bereich zu verletzen.

 

DAS MILIEU: Sie halten also das Coming-Out nicht für einen mutigen Schritt?

 

Geis: Ich halte nichts von solchen Selbstoffenbarungen. Gerade, weil es bei dieser Frage um das Innerste des Menschen geht, sollte jeder sorgfältig damit umgehen.

 

DAS MILIEU: Viele Ihrer Meinungen weichen stark von der Meinung des Mainstream ab, ja sogar gelegentlich von der parteipolitischen Linie der Union. Ist es in unserem Land manchmal schwierig, seine eigene Meinung frei zu äußern?

 

Geis: Mag sein, dass ich nicht immer mit der veröffentlichten Meinung in den Massenmedien übereinstimme. Das heißt aber noch nicht, dass diese veröffentlichte Meinung auch die wirkliche Meinung der Mehrheit der Bevölkerung ist. Allerdings ist man sehr oft Angriffen ausgesetzt, wenn man es wagt, sich gegen die veröffentlichte Meinung zu stellen.

 

DAS MILIEU: Ihrer Kritiker finden oft sehr harsche Worte gegen Sie und bezeichnen Sie als jemanden aus einer ganz anderen Zeit, der Angst vor Veränderung und der modernen Zeit hat. Was bereitet Ihnen Ängste im Blick auf die Zukunft unserer Gesellschaft?

 

Geis: Dass vielleicht zu viele hinter dem Zeitgeist herlaufen und zu wenige das Wort von Sören Kierkegaard bedenken: „Wer sich heute mit dem Zeitgeist verheiratet, ist morgen Witwer.“

 

DAS MILIEU: Sie sprechen sich vehement gegen eine absolute Gleichstellung von einer Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren mit der Ehe zwischen Mann und Frau aus. Worin besteht Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen diesen beiden Beziehungen?

 

Geis: Unter Ehe versteht unsere Kultur seit mehr als 2000 Jahren die Verbindung von Mann und Frau auf Dauer. Auch unsere Verfassung geht von diesem Grundsatz aus. Das Verfassungsgericht bezeichnet die gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften als etwas ganz anderes als die Ehe. Es nennt diese ein „aliud“. Die Ehe ist auf Kinder ausgerichtet. Vor allem deswegen steht sie gem. Art. 6 GG unter dem besonderen Schutz des Staates. Der Staat hat die Ehe und Familie zu schützen, weil so die Generationenfolge gewahrt bleibt. Deshalb ist die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft etwas anderes als die Ehe.

 

DAS MILIEU: Wenn Sie diese Unterscheidung so deutlich hervorheben, dann öffnen Sie doch der Diskriminierung Tür und Tor…  

 

Geis: Ich weise nur auf den Unterschied hin, ich diskriminiere aber nicht. Für mich gilt die Aussage im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD, in der formuliert wird: „Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sollen Respekt und Anerkennung erfahren“.

 

DAS MILIEU: Seit Anfang des 21. Jahrhunderts wird in verschiedenen Ländern weltweit die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Angesichts dieser Entwicklungen werden Sie von Albträumen geplagt. Es geht Ihnen um den Schutz der Ehe. Warum ist Ihnen die Kategorie der herkömmlichen Ehe so zentral für unsere Gesellschaft?

 

Geis: Durch Ehe und Familie wird am ehesten die Generationenfolge gewahrt. Jede Gesellschaft, die ihre Zukunft nicht aus dem Blick verlieren will und sich nicht nur mit den momentanen Problemen beschäftigt, muss sich nach diesem Grundsatz richten.

 

DAS MILIEU: Modedesigner Harald Glööckler löste im letzten Jahr eine Welle der Empörung aus. Er war der Meinung, dass „ein Kind beide Pole braucht, Mutter und Vater!“. Geben Sie ihm Recht?

 

Geis: Dass ein Kind am besten bei Vater und Mutter aufwächst, bestätigen viele ernst zu nehmende Studien.

 

DAS MILIEU: Als Kanzlerin Merkel während des Wahlkampfes nach dem Adoptionsrecht von Homosexuellen gefragt wurde, sagte sie: „Ich bin unsicher, was das Kindeswohl anbelangt“. Sie sagte auch: „Ich persönlich werde jedenfalls nicht selber einen Gesetzentwurf einbringen für die komplette Gleichstellung für die Adoption“. Wie interpretieren Sie ihre Aussage?

 

Geis: Ich bin der Meinung der Frau Bundeskanzlerin. Für mich kommt im Interesse des Kindes ein volles Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften nicht infrage.

 

DAS MILIEU: Aber die Homosexualität gehört doch zur Lebenswirklichkeit in Deutschland…

 

Geis: Deswegen müssen diese Gemeinschaften doch nicht das volle Adoptionsrecht haben. Es geht bei dieser Frage allein um das Wohl des Kindes. Das Beste für das Kind ist, wenn es bei Vater und Mutter aufwächst. Das ist Menschheitserfahrung.

 

DAS MILIEU: Aber wie schafft es dann eine kleine Minderheit der Bevölkerung, deren Lebensstil von der Mehrheit abweicht, ihre Interessen zum herrschenden Thema zu machen und einen gesellschaftlichen Konsens zu erzeugen?

 

Geis: Das frage ich mich auch.

 

DAS MILIEU: Wie auch immer: Bald wird die Wertschätzung homosexueller Lebensweisen im Schulunterricht gelehrt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrmals in Richtung einer Öffnung der Ehe entschieden. Nun hofft ein Großteil der Politik, dass es irgendwann zu einer Grundgesetzänderung kommen wird, dergemäß alle sexuellen Orientierungen gleichgestellt werden. Glauben Sie wirklich noch an eine Wende?

 

Geis: Man kann durch Mehrheitsbeschluss nicht Ungleiches gleich machen. Das wäre gegen die Vernunft. Eine solche Entscheidung des Gesetzgebers wäre nicht klug.  

 

DAS MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Geis! 

 

 

 

 

        Norbert Geis (geb. 1939) ist Politiker und Rechtsanwalt. Er saß 26 Jahre für die CSU im Deutschen Bundestag. Nach seinem Studium der Philosophie, Theologie und Rechtswissenschaft und absolvierte 1966 und 1969 das 1. und 2. Staatsexamen in Rechtswissenschaften. Seit 1970 arbeitete er als Rechtsanwalt Rechtsanwalt mit Anwaltsbüro in Aschaffenburg. Nach seinem Eintritt in die Union engagierte er sich auf Kreis- und Gemeindeebene bis er 1981 in den Bayerischen Landtag einzog. Von 1987 bis 2013 war Geis Mitglied des Deutschen Bundestages. Hier war er von 1990 bis 2002 Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Recht" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Norbert Geis wurde stets direkt als Abgeordneter des Bundestagswahlkreises Aschaffenburg in den Deutschen Bundestag gewählt. Im Oktober 2012 unterlag er jedoch bei der parteiinternen Kandidatenwahl seiner Konkurrentin Andrea Lindholz in der Stichwahl mit 71 zu 87 Stimmen. Norbert Geis ist verheiratet und hat vier Kinder.

 

 

 

 

 

Das Interview führte Tahir Chaudhry am 21. Januar 2014.

 

Foto: © Henning Schacht

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