Wettermoderator im Interview

Jörg Kachelmann: "Es geht nicht mehr um die Wahrheit"

01.07.2014 - Cihan Köse & Tahir Chaudhry

Im März 2010 wurde er wegen Verdachts auf Vergewaltigung festgenommen. Es folgten 132 Tage in U-Haft. Nach seinem Freispruch im Mai 2011 zog er sich radikal aus der Öffentlichkeit zurück. DAS MILIEU sprach exklusiv mit Jörg Kachelmann über seine Zeit im Gefängnis, die Vorverurteilung durch die Medien und seinen größten Fehler.

DAS MILIEU: Sie saßen 132 Tage in Untersuchungshaft. Erst im Mai 2011 erklärte Sie das Gericht für unschuldig. Was geht einem durch den Kopf, wenn man im Gefängnis sitzt und auch noch erleben muss, dass die Justiz unsauber arbeitet und Medien vorab schon mal die Guillotine auspacken?

Kachelmann: Ich hatte viel Zeit nachzudenken und mir überlegt, dass ich mit dem, was mir passiert ist, auch eine Verantwortung für die habe, denen das auch passiert und sich schlechter wehren konnten und können. Ich habe schon den Gefängniswärtern gesagt, dass ich nicht vergessen werde, was geschieht und dass ich hoffe, dass sich am Ende die Justiz auch für die wahren Verbrecherinnen und Verbrecher zuständig fühlen wird.

DAS MILIEU: Wie würden Sie das Erlebte von Anfang bis Ende als Wetterbericht formulieren?

Kachelmann: Es liegt mir fern, diese beiden Themen zu vermischen. Wetter ist meine Leidenschaft, seit ich zehn Jahre alt bin. Das andere Thema wurde gleichsam in mein Leben oktroyiert, ich habe mich zwangsweise damit befasst und versuche, das Beste daraus zu machen. Das Eine ist Kür, das Andere Pflicht. Das Eine will ich, das Andere muss ich.

DAS MILIEU: Gut, kommen wir zurück zur medialen Hetzjagd. Was wirkte auf Sie in dieser Zeit als stärkster Schlag ins Gesicht?

Kachelmann: Die Solidarität der ARD mit der Lügnerin und Falschbeschuldigerin Claudia D.! Ein Tagesschau-Mann hat im Herbst 2010 zusätzlich probiert, der BamS eine Geschichte unterzujubeln, in der dieser sich als eine Art Warner der armen Frauen vor dem schrecklichen Kachelmann darstellen wollte - dass einer, der alle in Redaktionssitzungen regelmässig mit den Geschichten über seine neuesten Eroberungen nervte, sich gegenüber den Medien als besorgte Papifigur darstellen wollte, hat schon sehr angestrengt. Wenn man weiß, wie eng der MDR mit Burda verflochten war und teilweise noch ist, wundert das alles vielleicht nicht, die Heuchelei tat dennoch weh. Ich hatte 2009 und 2010 für Onlinemedien angefangen zu recherchieren, welch seltsame Voraussetzungen Moderatorinnen und Schauspielerinnen beim MDR erfüllen mussten, um Rollen und Moderationen zu bekommen und wie sie von Chefs per SMS aufgefordert wurden, doch etwas weniger zickig zu sein, dann würde es auch mit der Arbeit besser klappen. Ich habe diese Recherchen relativ offen geführt, so dass mich nicht weiter gewundert hat, dass der MDR 2010 und 2011 eine besondere Rolle gespielt hat: einerseits das konzentrierte Abarbeiten an mir in der Schmuddelsendung "Brisant", andererseits der lustige Auftritt zweier MDR-Vertreter im Prozess, die natürlich schon wussten, dass ich alle begeisterten Emails haben würde, die sie bis zuletzt an und über mich geschrieben haben - andererseits aber auch versucht haben, im Sinne des Gerichts mich als irgendwie undurchschaubare sinistre Persönlichkeit zu beschreiben, die diese unbekannte Seite haben soll, der man alles zutrauen muss.

DAS MILIEU: Bundespräsident a.D. Wulff schreibt in seinem kürzlich erschienen Buch Ganz oben Ganz unten: „Alle rennen in eine Richtung, und es verlangt sehr viel Mut, eine andere, eine abweichende Meinung zu formulieren. Das Gejohle der Jagdgesellschaft ist bereits Teil der Jagd. Wer dagegen hält, macht sich verdächtig.“ Diese Beschreibung hat mich auch an Ihren Fall erinnert. Eine Person gegen alle - Was raten Sie Menschen, die zu Unrecht beschuldigt werden, aber kein Gehör finden?


Kachelmann: Je einen guten Anwalt zu nehmen, einen für Straf-, einen für Medienrecht. Ich habe lernen müssen, dass es gute und schlechte Anwälte gibt. Es wird immer wieder geschrieben, dass man viel Geld braucht, um sich gegen eine Falschbeschuldigung zu verteidigen - das ist nicht richtig, in meinem Leben waren die schlechtesten Anwälte die teuersten und die besten zeichneten sich immer dadurch aus, dass Sie um mich und um die Gerechtigkeit kämpften wie um ihr eigenes Leben und erst später, viel später sich um Geld Gedanken machten.

DAS MILIEU: Sie haben mal in einem Zeit-Interview etwas gesagt, was nur jemand sagen könnte, der nichts mehr zu verlieren hat. Sie sagten: „Es gibt Bild- Journalisten, die glauben, dass sie Gott sind. Deswegen rufen die mich immer noch an, auch heute noch. Nie mehr Springer. Nie mehr Burda.“ Was läuft heutzutage in der journalistischen Praxis schief?

Kachelmann: Es gibt heute die kollektive Bereitschaft in weiten Teilen des deutschen Journalismus, Blödsinn zu schreiben. Es gibt eine weit verbreitete Hybris, die es so vor 20 Jahren nicht gegeben hat. Und ich bin nicht sicher, ob es um schlechte Nachrichten geht. Es geht nicht mehr um die Wahrheit und das ist das, was mir Sorgen macht.

DAS MILIEU: Aber sind es nur die „bösen“ Medien oder hat auch unsere Gesellschaft ein Problem. Der Publizist Jürgen Todenhöfer klagte zuletzt in einem MILIEU-Interview: „Wir haben in Deutschland ein Lieblingsspiel, das ist die Vernichtung von Siegern. Je höher jemand steigt, desto größer ist das Vergnügen ihn wieder runterzubringen.“ Glauben Sie, dass hinter den Angriffen gegen Sie auch viel Missgunst steckte?

Kachelmann: Wir versuchen zu ergründen, ob Frau D. ihre Lüge und Falschbeschuldigung ganz alleine organisiert hat. Sie hat viel Geld verdient mit der ganzen Sache und ich hoffe, dass wir eines Tages genau herausfinden werden, von wem Frau D. wofür wieviel Geld zu welchem Zeitpunkt bekommen hat.

DAS MILIEU: Als Ihr Verfahren lief, hat Alice Schwarzer keine Gelegenheit ausgelassen, um gegen Sie zu wettern. Als dann Schwarzers eigener Steuerfall publik wurde, haben Sie sich über Twitter als Gerichtsreporter angeboten. Einige Zeitungen attestierten Ihnen daraufhin Rachegelüste. Wie hätte diese Rache ausgesehen?

Kachelmann: Ich habe generell keine Rachegelüste. Recht und Gerechtigkeit reichen vollkommen. Es gab so viele Lügen über mich in der Berichterstattung 2010/2011, eine der abseitigsten der geheimnisvolle Schalter, der sich angeblich in mir umlegen würde, um dann zum Monster zu mutieren. Ich habe seit je ein gewaltfreies Leben gelebt, schon zu schreien ist ein wesensfremder Gedanke und deswegen sind auch Rache, Hass, Wut und was auch immer der #vollpfostenjournalismus mir ferndiagnostiziert fremd. Wenn Verbrechen begangen werden, ist es für den Rechtsfrieden wichtig, wenn die Verbrecher zur Verantwortung gezogen werden - und für manche Leute überraschend gilt das sogar für Verbrecherinnen. Das ist mein Beweggrund, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin nicht verbittert, ich bin durchaus fröhlich - ich hatte schon vor der Falschbeschuldigung einen Hang zu Sarkasmus, den Sie nachvollziehen können, wenn Sie die Tweets während der Olympischen Spiele 2010 nochmal lesen wollen. Was damals Humor war, soll heute angeblich Wut und Hass sein.

Mein Medienanwalt Ralf Höcker hat sehr recht, er schrieb über die Medien im Umgang mit mir: "Sie haben dich halt ausgelutscht und ausgespuckt und nach ihrer Logik sollst du jetzt, wo das Thema durch ist, verschwinden, die Klappe halten und nicht noch rumnerven und selbst Themen setzen." Der deutsche Journalismus in seiner kollektiven Hybris ist es nicht gewohnt, für Fehler kritisiert oder womöglich nicht ernst genommen zu werden. Man kann denen ernsthaft auf den Keks gehen, und das ist sehr lustig. Und weil die damit nicht umgehen können, reagieren sie immer mit der gleichen Schablone, dass Wut, Hass und Revanche mich trieben - alles Quatsch. Wer mich auf Twitter @kachelmann regelmäßig liest, erkennt die spielerische Komponente.

DAS MILIEU: Es gab in der letzten Zeit viele Promis, die Fehler gemacht haben und dafür in der Öffentlichkeit hingerichtet wurden. Was würden Sie als Ihren größten Fehler bezeichnen?

Kachelmann: Ich weiss, dass Sie jetzt hören wollen, dass ich ein böser Vielweiberer war und mich dafür in den Staub werfe. Das will ich auch gerne tun, habe ich auch schon getan und bedauere es wirklich, dass ich in Beziehungsdingen nicht ehrlich war - ich finde eine Beziehung mit nur einem Menschen auch das Schönste und Beste, was einem Menschen passieren kann. Und auch wenn das mit den angeblichen verbreiteten Heiratsversprechen eine weitere Lügengeschichte war, deren Verbreitung inzwischen verboten wurde, war es falsch, das Beziehungschaos so lange nicht in Ordnung zu bringen, auch wenn ich Gründe dafür hatte. Ich bedauere das aufrichtig.
 
Dennoch: Dass Sie das immer wieder lesen wollen liegt ein bisschen am #opferabo, einen Grund zu suchen, warum die gar nicht arme Frau eine Falschbeschuldigung gemacht hat, nach dem Motto: Er muss sich nicht wundern, dass das eine Frau mit ihm macht, wenn er sie betrügt. Und das ist falsch und deswegen wehre ich mich immer ein bisschen gegen diese private Frage, weil sie einen Zusammenhang herstellen möchte, den es nicht gibt.

Sehen Sie: Mir hat eine Frau ganz klassisch aus ökonomischen Gründen zwei Kuckuckskinder untergejubelt, auch darüber ist 2010 leider geschrieben worden, und sie hat auch noch meine Unterschrift unter einem Unterhaltsvertrag gefälscht. Ich hatte zuerst geglaubt, dass es meine Kinder seien. Inzwischen weiß ich, dass sie denselben Vater irgendwo in der Südschweiz haben, der sich sicher kranklacht über meine Blödheit wie auch die Mutter selbst, die mit diesem doppelten Betrug weit über eine Million Euro verdient hat, denn als Mann ist man vor Gerichten immer der Depp, auch wenn man nicht mal der leibliche Vater der Kinder ist. Mit der gleichen Küchenpsychologie der Leute, die mir Ihre Frage stellen, könnte ich mich nun rechtfertigen, wenn ich irgendwas Verrücktes machen würde und sagen: Ja, ich bin nun zweimal so betrogen worden, das hat mich so traumatisiert und deshalb müsst ihr schon verstehen, dass ich komische Dinge tue oder Frauen grundsätzlich doof finde. Nein, das Eine hat mit dem Anderen eben nichts zu tun. Für mich als Mann würde so eine schlimme Erfahrung nie als mildernder Umstand angesehen und es ist andererseits auch keine Entschuldigung für die Falschbeschuldigung von Frau D., dass sie nicht die einzige Frau war, die ich alle paar Monate mal gesehen habe. Für mich ist bei diesem Thema am Ende nur entscheidend, dass ich meine nicht leiblichen Kinder genauso liebe wie das leibliche.

DAS MILIEU: Stellen Sie sich vor, dass ihr gesamter Prozess und die Geschichte dahinter verfilmt wird. Wie wäre er besetzt und in welchem Genre würden Sie diesen Film einordnen?

Kachelmann: Nichts liegt mir ferner, als einen Film zu wollen. Frau D. hat für zigtausend Euro irgendwelche Rechte an eine Filmgesellschaft verkauft. Wir werden jeden Film, der auf Lügen basiert, zu verhindern wissen.

DAS MILIEU: Was ist die Moral Ihrer Geschichte? Was haben Sie gelernt und was würden Sie an unsere Leser weitergeben?

Kachelmann: Seien Sie wachsam. Rechnen Sie mit dem Schlimmsten. Denken Sie nicht, dass Ihnen das nicht passieren kann!

DAS MILIEU: Nachdem Sie dermaßen von deutschen Medien gejagt wurden und bis heute Interviews verweigern: Warum haben Sie sich entschieden für DAS MILIEU Frage und Antwort zu stehen?

Kachelmann: Sie sind mir 2010 und 2011 nicht unangenehm aufgefallen. Und Sie haben Migrationshintergrund. Das macht Mut.

DAS MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kachelmann!

 

 

 

Weitere Infos zur heutigen Arbeit von Jörg Kachelmann: kachelmannwetter.de

 

 

 

Das Interview führten Tahir Chaudhry und Cihan Köse am 30. Juni 2014.

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